Sie schuf ein weltweit bedeutendes Forum für möglichst radikale, frei improvisierte Töne – in Schallplattenveröffentlichungen und in einem jährlichen Festival, das sich „Total Music Meeting“ nannte: Jetzt ist der Berliner „Free Music Production“ (FMP) eine aufregende Ausstellung im Münchner Haus der Kunst gewidmet: „FMP: The Living Music“(noch bis 20.8.). Töne und Dokumente für Entdeckungsfreudige.
„Die FMP ist der wichtigste kunst- und kulturpolitische Beitrag Westberlins zum 20. Jahrhundert“, sagt der Kurator der Ausstellung Markus Müller und begründet das nicht zuletzt mit dem regen Austausch, das dieses Westberliner Label schon früh mit Musikern aus der DDR pflegte, aber auch mit den starken Impulsen, die von der FMP international ausgingen. Müller hat unter anderem auch die vielbeachtete Ausstellung „I Got Rhythm“ über den Einfluss des Jazz auf die Bildende Kunst 2015 in Stuttgart gestaltet. Und Okwi Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst, pflichtet ihm bei: Er findet die FMP und ihre Musik „absolut zeitgenössisch“ als Raum für subjektiven Freiheitsausdruck. Es geht also um weit mehr als um Töne; es geht um Kulturgeschichte.
Gleich im Treppenaufgang und in Räumen mit vielen Dokumenten und aus etlichen Quellen dringenden Klängen kann man eintauchen in eine ganz eigene Welt. Man kann Stationen abwandern, das riesig vergrößerte Plakat des allerersten „Total Music Meetings“ 1968 betrachten, an etlichen bunt-bizarren LP-Hüllen vorüberschreiten, sich in Nischen Kopfhörer überstülpen und sich in einige von mehreren hundert Produktionen vertiefen. „Messer“, „Pearls“ oder auch „Ein halber Hund kann nicht pinkeln“, lauteten Titel der Platten. Aus vielen Lautsprechern dringt Musik: frei schwirrende Töne als wirbelndes Knarzen, Toben, Tosen einer Zeit.
Zuweilen kommt fast Konzertatmosphäre auf – wenn etwa auf ganz großer Projektionsfläche eine Fernsehaufzeichnung von 1974 gezeigt wird, in der Peter Brötzmann mit trötendem Saxophon Hanns Eisler schmettert. In einem anderen Raum zieht ein Schwarzweiß-Foto von auf dem Boden kauernden Zuhörern von 1970 die Betrachter hinein in diese Art von musikalischem Gemeinschaftserlebnis: dem nicht auf bequemen Polstern stattfindenden Entdecken neuer Klangdimensionen. Auch Querverbindungen zu anderen Künsten lassen sich entdecken, etwa durch Dokumente der Zusammenarbeit von Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer mit dem Schriftsteller Günter Grass, durch die stets voller atmosphärischer Kraft steckenden Konzertfotos von Dagmar Gebers – und durch die Gestaltung der Plattenhüllen.
Was für hervorragende Arbeit die FMP geleistet hat, ist besonders an einem hier stark gewürdigten Großprojekt zu messen: dem Konzert-Special des amerikanischen Pianisten Cecil Taylor, der 1988 einen Monat lang in Berlin mit vielen europäischen Kollegen zusammentraf. Die daraus entstandene 11-CD-Box von 1989, limitiert auf 1.000 Stück, ist nicht nur eine begehrte Rarität, sondern eine der besten Musikdokumentationen, die mindestens der Free Jazz je erfahren hat. Die herausragende Initiative FMP wurde einst durch eine eher kuriose Begebenheit angestoßen: Der Free-Jazz-Saxophonist Peter Brötzmann sollte für einen Auftritt seiner Band bei den „Berliner Jazztagen“ dunkle Anzüge vertraglich garantieren; er aber wollte dies nicht – und wurde wieder ausgeladen. Da nahmen er und der Bassist und Sozialarbeiter Jost Gebers – der später der Produzent und wichtigste Kopf hinter der „FMP“ werden sollte – die Sache eben selber in die Hand und organisierten das erste „Total Music Meeting“ 1968, aus dem 1969 die „Free Music Production“ hervorging. Die Klänge dazu, rau, unangepasst und uneinnehmbar von egal welchen politischen Richtungen, klingen auch heute noch aufregend – und könnten, angesichts heutiger politischer Entwicklungen in vielen Teilen der Welt, aktueller nicht sein.