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Olympische Götter singen Wagner-Themen – Uraufführung des Musicals „Götter und Helden – Eine kleine Odyssee” am Gymnasium Steglitz

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Bereits seit mehr als 20 Jahren ist an Berlins humanistisch altsprachlichem Gymnasium in der Heesestraße in Steglitz der griechische Mythos auch Thema für die biennalen Bühnenstücke. Wie im antiken Theater Griechenlands, stehen dabei dieselben Mythen, aber jeweils von anderen Autoren mit eigenen Schwerpunkten versehen, auf dem Programm – als eine sehens- und hörenswerte Alternative zum kommerziellen Musical-Betrieb.

Anderthalb Schuljahre lang proben die Schüler aller Gymnasiums-Klassen als Musical-AG an jedem Samstag, dann, gegen Ende der Probenphase, in einem Intensiv-Workshop auf Burg Stargard und dann eine Woche lang, ganztags bis in die späten Abendstunden hinein, wobei die beteiligten Schüler für den Großteil des Vormittagsunterrichts freigestellt werden.

Die Praxis der Schlussproben scheint jeglicher Theater-Praxis zu widersprechen, denn es gibt weder Durchlauf-, Komplett-, oder Hauptproben, dafür aber fünf (!) Generalproben, obgleich die Partien bestenfalls doppelt besetzt sind. Dem folgen vier Vorstellungen en suite, die für die beteiligten Kinder um 16 Uhr in der Maske beginnen und Ende gegen 22 Uhr, oder wie bei der vom Rezensenten besuchten Derniere, erst weit nach 22:00 Uhr enden.

Für die Intentionen dieses Gymnasiums spricht der Zusammenhalt der aktiven Gymnasiasten mit den ehemaligen, die dann für Musikalische Leitung, Regie, Choreografie, Maske, Technik und Ausstattung verantwortlich zeichnen und im ein oder anderen Fall auch weiterhin im begleitenden Live-Orchester mitspielen.

Das mit Flöte, Oboe, 2 Klarinetten, Fagott, Horn, Trompete, 2 Posaunen, Schlagwerk und Streichern, sowie 2 Saxophonen und dem Komponisten am Flügel besetzte Kammerorchester firmiert als „Band“, vom ehemaligen Heesinaer Gordian Sehrig souverän geleitet.

Auch unter den Müttern, welche die Kostüme fertigen, gibt es Ehemalige. Und deren antikisierend bunte Mischung reicher Glitzer- und ausgedienter Vorhangstoffe wirkt in der Gesamtheit wie eine Karikatur und Bestätigung des Theaters von anno dunnemals gleichzeitig – eine Mischung von Bollywood, Karneval und Love Parade.

Und an Bernsteins „Glitter and be Gay“ orientiert sich denn auch der von Dirk Schröder geschaffene musikalische Gesamtstil des Abends, mit einer Mischung der Beinahe-Anleihen von Cole Porter bis Dschingis Khan. Besonders witzig ist Schröder die große Gesangsnummer des Olymp, für die der an diesem Ort auch als Musiklehrer wirkende Komponist nicht etwa Offenbach, sondern Richard Wagner herangezogen hat, gelungen: eine Abfolge des sequenzierten Walhall-Themas mit der chromatischen Schlummermusik aus dem dritten Aufzug der „Walküre“ und dem hier, wie vordem nur in Wagners frühen „Ring“-Skizzen, vom Ensemble gesungenen Thema des Walkürenritts.

Solch subversiver Witz dürfte selbst Schülern eines Musik-Leistungskurses verborgen geblieben sein; aber es soll ja später auch eine CD und DVD dieser Produktion geben, die dann noch andere Interessenten und Connaisseure erreichen kann. Am Abend der Derniere war der für 200 Besucher konzipierte Saal allerdings mehr als überfüllt, zumal die reservierten Karten im Vorfeld nicht mehr zu finden waren, neu ausgedruckt und schließlich doppelt verkauft wurden. Dennoch gab es an der improvisierten Abendkasse immer noch eine Schlange potenzieller Besucher, die keinen Einlass mehr fand.

Die Story wird erzählt, wie man sie seit den Anfängen des Musiktheaters kennt. Als die Handlung – nach Odysseus’ Begegnungen mit Circe, den Sirenen, Skylla und Charybdis sowie Kalypso endlich an jenem Punkt angelangt ist, an dem Claudio Monteverdis „Ritorno d'Uisse“ und Robert Hegers „Bettler Namenlos" beginnen, ist der Abend schon weit vorangeschritten. Nach den Schweinen der Circe durfte der Zuschauer auf Odysseus' alten treuen Hund gespannt sein, aber auf den wurde ebenso verzichtet, wie auf den Wettkampf der Freier mit Odysseus' Bogen. Stattdessen wurde eine Variante des Mythos erzählt: Penelope erkennt ihren Garten daran wieder, dass dieser weiß, warum das Bett des Odysseus nicht herbeigetragen werden kann (denn einer der vier Pfosten ist ein Ölbaum). Im Sinne heutigen Politikverständnisses endet das Musical nicht mit dem Duett des wiedervereinten Ehepaares, dessen männlicher Part sich doch, wie hier betont wird, sieben Jahre lang jede Nacht mit Kalypso lieben durfte, während seine Gattin treu auf ihn gewartet hat. Dem triumphalen Gesang schließt sich auf der Dialogebene ein zunächst trauriger Moment angesichts zahlreicher Nichtmehrheimkehrer nach Ithaka an und dann eine Liebesszene auf der Domestikenebene, zwischen dem alten Autolykos und einer jungen Magd.

Dabei gerät die Aufführung mit Moving Lights, adäquater Tontechnik – mit angeklebten Mikroports und einem im Spiel dieser mythischen Pop-Variante sinnvoll weitergereichten drahtlosen Handmikrofon – durchaus bestechend.

Die Maske der Darsteller_innen ist originell, mit Haarteilen, greller Schminke und aufgeklebten Glitzersteinen, insbesondere aber mit aufgemalten Stoppelbärten für die Kinder, Mädchen und jungen Damen, als eine bizarre Vervielfachung von Conchita Wurst!

Die zweistündige Szenenfolge hat gebührendes Tempo, welches nur durch die Umbaupausen auf stockdunkler, vorhangloser Bühne retardiert.

Sieht man von einer Darstellerin mit Schwangerschaftsbauch als betrunken lallendem Dionysos ab, gibt es in der Steglitzer Produktion bedeutend weniger laienhafte Peinlichkeiten zu verzeichnen als bei vergleichbaren Schul-Veranstaltungen.

Die gesprochenen Dialoge gerieten zwar nicht immer verständlich, aber glücklicherweise saßen im Auditorium genügend Besucher, die diese Produktion bereits mehrfach gesehen hatten und dem Rezensenten bei dessen Nichtverständnis aufgrund verschluckter Wörter und Endsilben helfen konnten.

Die Dialogfassung (von Antonia Andres, Julia Arndt, Sophie Hübner, Pauline Kwast, Caroline von Lampe, Julia Schlüpmann und Johannes Vogel) sucht häufig die Lacher eines nicht nur humanistisch, sondern auch allgemein gebildeten Publikums und findet diese dann auch.

In Johannes Vogels Regie geht es für eine Schulaufführung erstaunlich körperlich zur Sache, gegen Ende wird auch auf den Mund geküsst und von den jugendlichen Darstellern werden die Bühnenküsse beim Applaus freizügig erneut dargeboten. Headhunter für TV und Spielfilm mochten bei diesem Antiken-Musical einige junge Talente entdecken, wie Niclas Linus Stepczynski als Poseidon, die blutjunge Djamila Dehn als Magd Filini oder die selbstbewusste Mara Meister als Athene (allerdings leider erst nach einer dringend anzuratenden, logopädischen Therapie). Auch stimmlich konnte der Talentscout auf erstaunliche Begabungen stoßen, von den solistischen Gesangsdarbietungen des gymnasialen Erstklässlers Niklas Mix als Bote Asterios, bis zur der den Musicalstil treffenden Lili Buhren als Penelope.

Am Ende der vierten Aufführung, nach Dankesadressen und Unmengen von Tulpen, dann noch die Zugabe eines der Ohrwurm-Ensembles von „Götter und Helden“ – und, kurios genug, forderte nicht etwa das Publikum, sondern das Ensemble eine weitere Zugabe, nämlich die Chornummer „Wir wollen feiern und trinken!“

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