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Foto: Jean Marc Turmes.
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Oper als Steinbruch – Johann Adolf Hasses „Artaserse“ zwischen Bayreuth, Berlin und Münchens Cuvilliéstheater

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Sie steht zurecht im Mittelpunkt des Abends: Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Die 1731 dorthin, ins „Paradies der Langeweile“ zwangsverheiratete Hohenzollerntochter, war künstlerisch hochbegabt und wertete ihre Residenz mit dem „Markgräflichen Opernhaus“ zu einem europäischen Opernzentrum auf. Im April 1748 wurde dieses Barock-Juwel mit Hasses „Artaserse“ eröffnet. Nach Wilhelmines Tod folgten fast 270 Jahre schleichender Verfall. Nach hochdifferenzierter Renovierung durch europäische Spezialisten übernahm Münchens Theaterakademie die Wiedereröffnung mit „Artaserse“. Nach Bayreuth und Budapest-Gastspiel kam die Produktion nun ins konkurrierende Rokoko-Juwel des Münchner Cuvilliéstheaters.

Im Graben sorgten Könner der Alten Musik, die Hofkapelle München unter Michael Hofstetter, für ein fulminantes Barockmusikfest. Für die Bühne war kein Spezialist geholt worden – und der versuchte sich an „allem“:

Erstens um die Modernität der antiken Königsmord-Handlung Metastasios zu beweisen, wurde alles mit der oft inhumanen Familien-, Heirats- und Thronfolgepolitik des 18.Jahrhunderts generell und speziell des preußischen Hofes unter Friedrich Wilhelm I. gleichgesetzt – und eben mal statt von „Persia“ von „Prussia“ gesungen – und die Figuren lediglich als „Schwester, Bruder, Mutter, Vater, Intrigant“ aufgelistet – und dann mal in pseudo-antik-persische, dann barocke Hof- und Militärkostüme und schließlich in moderne Alltagsanzüge bis zu Jeans und Springerstiefeln gesteckt.

Zweitens um die „spirita recta“ zu ehren, wurde Markgräfin Wilhelmine als Figur hinzuerfunden. Die 78jährige Bayreuth-Heroine Anja Silja spielte die bei der damaligen Eröffnung 39jährige Wilhelmine, las aus ihren Briefen, kam als Stimme aus dem Off und interpretierte ein aus dem 2.Akt des „Artaserse“ stammendes Accompagnato als hochdramatisch aufgeladenes Melodram zum Finale des Abends.

Drittens inszenierte die Silja-Wilhelmine einige Spielzüge zwischen Artaserses Königsmord, der homosexuellen Beziehung ihres Preußen-Bruders Friedrich II. und seinem Freund Katte, dessen Hinrichtung, den eigenen Familien-Traumata und den Amouren ihres eigenen Gatten – und das dann noch als „Theater auf dem Theater“, wozu ein schwenkbares Teilmodell der Bayreuther Barockbühne, Windmaschine und Donnerrohr mehrfach sichtbar von einem Bühnenarbeiterteam bemüht wurden – und somit wohl „brechtisch verfremdet“ jede Idee von „Barockem Illusionstheater“ ad absurdum geführt war.

Viertens um den „Assoziationen freien Lauf zu lassen“(Zitat aus dem Einlegezettel des Programms), wurden dem Publikum keine Übertitel zu den tollkühn umgestellten Musiknummern Hasses geboten – dafür kaum lesbar mal Wilhelmine-Zitate (?) oder Grundfragen des menschlichen und gesellschaftspolitischen Lebens im schwarzen Bühnenhintergrund projiziert.

Fünftens gab es auch „Regieeinfälle“ wie das Nebeneinander von bluttriefendem Schwert, rollbarem Seziertisch für Tote, modernem Revolver – und die symbolträchtig zelebrierte, im Judentum bis heute gebräuchliche Sitte des Steinablegens – nur stellten sich die Steine dann als zerdrückbare Kartoffeln heraus, die Friedrich II. damals in Preußen eingeführt hat…

Für diesen szenisch-dramaturgischen Wirrwarr zeichnete „Studiengangsleiter Musiktheater“ Balázs Kovalik samt Produktionsteam verantwortlich – und erntete einen viel zu kleinen Buh-Sturm. Denn schon 1982 hat ein Meisterregisseur wie Herbert Wernicke gezeigt, wie sich in Carl Heinrich Grauns „Montezuma“-Oper auf ein Libretto von Friedrich II. das Preußen des 18.Jahrunderts mit dem Azteken-Reich dramaturgisch und inszenatorisch unvergesslich verschmelzen lassen (Arthaus-Mitschnitt aus dem unrenovierten Bayreuther Markgräflichen Theater DVD 101 629).

Dass der jetzige Abend nicht zum Desaster geriet, war der musikalischen Interpretation zu danken. Den meist im „Master“-Stadium ihrer Ausbildung stehenden Solisten waren durchweg gute Gesangsleistungen zu attestieren – gipfelnd in Natalya Boevas Mutter, überragt von Kathrin Zukowski: sie sang die eingefügte Arie „Vado a morir“ aus der Hand Markgräfin Wilhelmines und ihrer Oper „Ormondo“, Musik einer Künstlerin, voll von sofort packender Ernsthaftigkeit und Tiefe, expressiv interpretiert.

Diese gelungene Einfügung warf die Frage auf, warum nicht grundsätzlich ein barockes Pasticcio um die Figur Wilhelmines geschaffen wurde. Jetzt war aus den womöglich drei Stunden von Hasses „Artaserse“-Musik eine zwar wild umgestellte, aber musikdramatisch immer wieder fesselnde Quintessenz gefiltert. Die dirigierte Michael Hofstetter emphatisch mit fulminanten Spitzen und traurig klagenden Abstürzen: Bravo Hofkapelle! Es war ein Plädoyer für den wohl einem Händel ebenbürtigen Operndramatiker Johann Adolf Hasse, der zu Recht als europäischer Star zwischen Neapel, Venedig, Wien, Dresden und London gefeiert wurde: den in einer wahren Musiktheaterinterpretation zu erleben – es müsste ein Fest sein, das statt Buh vielerlei Bravi verdient.

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