Geplant waren die Produktion von „Kommilitonen!“ („Young Blood!“) und der Beginn der Vorbereitungen schon lange vor dem Tod von Sir Peter Maxwell Davies am 14. März 2016. Der englische Komponist hätte Freude daran gehabt, dass die erste Hochschulaufführung in Deutschland an einem Hauptschauplatz der friedlichen Revolution stattfindet.
Es ist zwar „nur“ die erste ausschließliche Ausbildungsaufführung in Deutschland (eine Koproduktion des Leopold-Mozart-Konservatoriums mit dem Theater Augsburg und UdK Berlin gab es bereits 2015), aber das schmälert die vorbildliche Leistung an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn-Bartholdy“ Leipzig überhaupt nicht. Die von Peter Maxwell Davies und dem Regisseur David Pountney als Librettist 2006 begonnene Oper „Kommilitonen!“ gehört im derzeitigen politischen Klima eigentlich an noch mehr Musikhochschulen Europas.
Die verschachtelnde Dramaturgie stellt drei Revolutionssituationen des 20. Jahrhunderts gegenüber und verdichtet sie: Die Widerstandsbewegung „Die Weiße Rose“ um die Geschwister Scholl an der Ludwig-Maximilian-Universität München im Nationalsozialismus, die Oxford-Revolution an der University of Mississippi um James Meredith gegen die Rassentrennung 1962 und das Verschweigen politisch motivierter Morde nach der Chinesischen Kulturrevolution 1976 am Beispiel der Geschwister Wu und Li. Aus dem literarischen Konvolut der Geschwister Scholl wird Dostojewskis nihilistische Erzählung „Der Großinquisitor“ zu einer Vision der Träger aller drei Handlungsteile.
In der zweiteiligen Partitur, mit der Peter Maxwell Davies gegen die Politikverdrossenheit britischer Studierender opponieren wollte, überlagern und durchdringen sich diese Handlungsebenen und deren musikalische Schichtungen. Davies‘ handwerklich souveräne Partitur nutzt alle Mittel mit Maoistischen Propagandachören, gestischen Orchesterkommentaren, wirkungsvollen Solistenparts, einer maßvollen Zitatpraxis und dem chinesischen Saiteninstrument Erhu (Jian Guo Lu) für fernöstliches Kolorit.
Ein für Hochschul-Ensembles sehr großer Aufwand steckt in dieser Besetzung mit über vierzig Orchestermusikern. Die HMT Leipzig hat für insgesamt sechs Vorstellungen etwa fünfzehn Solorollen in Doppelbesetzungen einstudiert und schickt einen etwa 25köpfigen Chor in die umfangreichen Aktionen (Einstudierung: Jens Petereit).
Ein weiteres Mal wird man überrumpelt von den ehrlichen Mitteln, mit denen alle beteiligten Studierenden zu berührenden Ensembleleistungen geführt werden. Mittelpunkt der Spielfläche ist ein großes Metallgerüst, in dem sich – eingangs schachtelartig von Tüchern umhüllt – ein erhöhtes Podest mit Dachebene befindet. Davor und darauf wechseln die Beteiligten der drei Spielhandlungen die Positionen. Der Aufmarsch der Maoistischen Rotgardisten erfolgt in Reihe, Chöre und die Münchner Flugblätter-Aktionen schieben sich in den Zuschauerraum.
Die dramatischen Ballungen erfolgen als hochdramatische Revue, die Matthias Oldag auf die deutsche Übersetzung von Steffen Piontek in eine szenische Erzählform in den dominanten Farben Weiß, Schwarz und Rot der Kostüme von Barbara Blaschke bringt. Das hat Präzision, schützt die Studierenden vor outrierenden Übertreibungen und vermittelt mit den choreografischen Zusätzen von Lynnda Curry szenisches Rüstzeug für die Zukunft. Für eine Hochschulproduktion ist das Ergebnis bemerkenswert homogen.
Eine besondere Anerkennung gebührt dem musikalischen Einstudierungsteam Alexander Stessin, Damian Ibn Salem und Benjamin Huth, die den Solisten offenbar gute Brücken für anstrengende Phrasen und die reichlichen Fortissimo-Stellen bauten. Sehr ansprechend auch, dass musikdramatische Sinnfälligkeit ein Anspruch noch vor der Kantabilität ist. Nur die Textverständlichkeit ist nicht ganz auf der Höhe der vorherigen Produktionen. Von den Solisten der überwiegend mittelgroßen Partien wäre es ungerecht, einzelne herauszuheben.
Matthias Foremny vermittelt im orchestralen Geschehen neben der bemerkenswerten Sicherheit auch einen nahezu selbstverständlichen Umgang mit Neuer Musik. Zu dieser ist die Oper von Peter Maxwell Davies, der eine spannend, maßvoll dissonante Partitur hinterließ, eine gleichermaßen dichte, artifizielle Basis mit einem dichten ariosen Vokalsatz ohne Extreme.
Die hochbrisanten Stoffe verstehen sich als Appell an politisches Bewusstsein und Aktionsbereitschaft. Die Produktion zeichnet sich aus durch eine fast rührende Disziplin aller Beteiligten. Auch wenn das gegen die akademischen Grundsätze ist: Etwas mehr Mut zum Espressivo würde nicht schaden, damit die Videozuspielungen von Melissa Hötger und Valerio Figuccio nicht zu viel Priorität gewinnen.
Theaterschaffende auf der Suche nach jugendlichen Ensemblepositionen sollen sich hier unbedingt sehen lassen, es lohnt sich.
Die nächsten Musiktheater-Ereignisse sind am 24. Juni als Opernprojekt der Fachrichtung Alte Musik „San Giovanni Battista“ von Alessandro Stradella und am 01./03. Juli Antonio Vivaldis „La verita in cimento”.
- „Kommilitonen!“ wieder am 1., 2. Juni (19.00 Uhr), Hochschule für Musik und Theater, Grassistraße, Fon 0341-2144615