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Pariser Himmel voller Hymnen

Untertitel
Karlheinz Stockhausen in der Cité de la Musique
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Paris als Stockhausen-Heimspiel. Zumindest an diesem Konzertabend fliegen ihm die Herzen zu. Ganz anders bekanntlich als zu Hause. Dort hat man ihm unlängst – noch ist es gut in Erinnerung – den Teppich unter den Füßen weggezogen. In Hamburg im traurigen Monat September war’s. Das Attentat von New York ein „Kunstwerk Luzifers“? Soviel Verschrobenheit war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr durch demokratische Errungenschaften wie Kunstvorbehalt und Meinungsfreiheit abgedeckt.

Paris als Stockhausen-Heimspiel. Zumindest an diesem Konzertabend fliegen ihm die Herzen zu. Ganz anders bekanntlich als zu Hause. Dort hat man ihm unlängst – noch ist es gut in Erinnerung – den Teppich unter den Füßen weggezogen. In Hamburg im traurigen Monat September war’s. Das Attentat von New York ein „Kunstwerk Luzifers“? Soviel Verschrobenheit war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr durch demokratische Errungenschaften wie Kunstvorbehalt und Meinungsfreiheit abgedeckt. Deswegen wartete man gespannt auf den ersten, „postluziferischen“ Auftritt in der Stadt, die dem Komponisten schon immer viel gegeben, viel bedeutet hat. Und siehe da: alle bösen germanischen Geister schienen wie weggeblasen. Kein Pfeffersack weit und breit, der hier die Moral über die Musik gestellt hätte. Konzertanter Sonnenschein im überfüllten „Salle des concerts“ der Cité de la Musique, der an diesem Abend fast wie das nachgestellte Theater aus Marcel Carnés unsterblichem Film „Kinder des Olymp“ aussieht. Volles Haus bis hoch in die Galerien, aus der vor allem das junge Publikum erwartungsvoll herabschaut. Halb Paris ist gekommen. Weißhaarige „Le Monde“-Leser, grau-melierte Geschäftsmänner mit Gattin und die „young urbans“, die noch „professionals“ werden wollen. Allenthalben Neugierde auf die Person. Stockhausen – wie ist er so? Ganz sicher aber auch Neugierde auf eine Musik, die in grauer Vorzeit entstand, als viele der jetzigen Hörer noch nicht einmal auf der Welt waren. Und dann, nach 2 Durchgängen zu je 42 Minuten, unterbrochen von einem 20-minütigen Stockhausen-Vortrag, ist das kleine Wunder perfekt. Das vereinte Projektorchester aus Ensemble Intercontemporain und Conservatoire de Paris unter Peter Eötvös verzaubert an diesem Abend den Himmel über Paris. Als die „Hymnen“ in einem Pianissimo verhauchen, ereignet sich der sprichwörtliche Stecknadel-Effekt. Erst als Eötvös die weit ins Orchester hineingestreckten Arme herunternimmt, löst sich die Anspannung in dankbarem, nicht endenwollenden Jubel.

Dabei war diese Version des Werkes – elektronische Musik mit Orchester – von Stockhausen ursprünglich nur eine Art Zugeständnis an die Konvention. Wie er im Programmheft für die New Yorker Uraufführung im Februar 1971 nicht ohne polemische Spitze notiert, wolle er damit lediglich erreichen, „dass dieses Werk auch von den Menschen gespielt und gehört wird, die sich in sogenannten ‚Symphoniekonzerten’ treffen“. So genannte Symphoniekonzerte. Die sind seitdem immer noch nicht ausgestorben, erfreuen sich sogar, wie jetzt in Paris zu erleben, großer Beliebtheit.

Und tatsächlich ist auch dieses alte, als „naiv“ gescholtene Stück Neuer Musik an diesem Abend so neu, dass sich selbst die Kenner verwundert die Ohren reiben: So klingt Stockhausen? Ja, so kann er klingen, wenn ein künstlerischer Wille wie der der Leitung des Ensemble Intercontemporain wirksam wird. Denn selbst für den anspruchsvollen Stockhausen waren die Produktionsbedingungen traumhaft. Zehn Proben, penibles Ringen um jede Note, jede Nuance. Dazu die hingebungsvolle Einstellung der Instrumentalisten, die von Stockhausen am Ende überschwenglich gelobt werden: Merci à vous toutes.

Gemeint waren insbesondere die jungen Studenten des städtischen Konservatoriums, die eingeladen waren, sich dem renommierten Klangkörper Ensemble Intercontemporain anzuschließen. Eine mutige Rechnung, die aufging. Bis in den Konzertabend hielt der Esprit vor. Ein stets antreibender Peter Eötvös am Pult, Stockhausen mit behutsamer Klangregie am Mischpult, bewirkten schließlich, daß der Funke sprang und alle, wirklich alle, hingerissen waren von einer Musik, die sie so nicht kannten.

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