Das Pfingstwochenende in Regensburg stand wieder ganz im Zeichen der Tage Alter Musik. 15 ausverkaufte Konzerte in Kirchen und Sälen der historischen Altstadt belegten die ungebrochene Anziehungskraft des eigenwilligen, dem Mainstream abgewandten Festivals. Juan Martin Koch berichtet.
Zwei Ensembles – gleicher Eröffnungseffekt: Sowohl die Cappella Mediterranea als auch L‘Harmonie des Saisons zogen mit dem ersten überlieferten mehrstimmigen Gesang in der indigenen Sprache Quechua in den Kirchenraum ein. Beide hatten es sich zur Aufgabe gemacht, den musikalischen Kulturtransfer aus Europa zu illustrieren, der mit der Conquista und der katholischen Konversion der Neuen Welt einherging. Dank des Chœur de chambre de Namur und der auffälligeren Solisten (vor allem Mariana Flores) war das Cappella-Programm das farbigere, vor allem aber wurde hier die muntere Vermischung folkloristischer und sakraler Stilebenen deutlicher. Beiden Programmen gemeinsam war (neben einem weiteren Werk) wiederum das aufgesetzt Launige, die Suche nach dem schnellen Publikumserfolg, der sich dann auch prompt einstellte.
Missa solemnis – von Leopold Mozart
Solche auffälligen Programmdoppelungen sind eher selten bei den Tagen Alter Musik, am ehesten passieren sie noch in den Auftritten von Barockorchestern mit ähnlichem Repertoire. Diesmal konnte man die übliche Version von Bachs dritter Orchestersuite mit derjenigen ohne Bläser vergleichen. Das polnische Ensemble Arte dei Suonatori glich die Fehlstelle mit differenzierten Streicherfarben aus, die Hofkapelle München mit Konzertmeister Rüdiger Lotter erspielte sich dank guter Tompeter jene Sicherheit, die zuvor, auch wegen teils überzogener Tempi, gefehlt hatte. Die Münchner, die mit diesem Bach-Programm für die kurzfristig ausgefallene Matthäus-Passion mit der französischen Akadêmia eingesprungen waren, lieferten auch den Orchesterpart im Eröffnungskonzert. Zum 300. Geburtstag Leopold Mozarts erklang dessen Missa solemnis C-Dur, ein mitunter recht ausladendes Werk, das aber im Credo mit gewagten harmonischen Rückungen und Klangfarben überrascht. Die Regensburger Domspatzen beschenkten ihren scheidenden Chef Roland Büchner bei einem seiner letzten Auftritte als Domkapellmeister nicht zuletzt in den mächtigen Fugen mit einer ausgezeichneten Leistung. Aus dem guten Solistenquartett ragte Sopranistin Katja Stuber heraus.
Ein weiteres Barockorchesterprogramm bestritt Höör Barock aus Schweden und überzeugte vor allem mit den schönen Golovin-Musiken Johan Helmich Romans. Als Leiter war Flötist Dan Laurin die treibende Kraft dieses beachtlichen Deutschland-Debüts. Perfekte Freiluftmusik servierte die Zefiro Oboe Band an elf Doppelrohrblättern und sorgte mit dem Groove von Schlagwerker Alberto Macchini für einen Hauch Jazzweekend im sonnenbeschienenen Thon-Dittmer-Hof.
Vokalmusiken mit zeitgenössischen Einsprengseln
In Sachen Vokalmusik verließ sich Le Caravansérail mit seinem englischen Programm (Locke, Purcell & Co.) ganz auf den glockenreinen Sopran Rachel Redmonds, konnte mit seinen Instrumentalnummern aber nur bedingt eigene Akzente setzen. In ihrem von Luther inspirierten Programm, in dem Choralmelodien zum Teil strophenweise in Sätzen verschiedener Komponisten erklangen (Walter, Othmayer, Crüger…), hinterließen die fantastischen Bläser von InAlto einen stärkeren Eindruck als das Vokalsensemble Utopia. Während die Posaunen und der Zink des Leiters Lambert Colson wie auf einem einzigen Atem zu spielen schienen, agierten die Sänger eher nebeneinanderher als miteinander.
Mit gemeinsamem Hochdruck und teils eigenwilligen Vokalfarben forcierten dagegen die Solisten von La Risonanza (Aldona Bartnik, Francesca Cassinari, Nausicaa Nisati, Raffaele Giordani, Salvo Vitale) die expressive Qualität von Dietrich Buxtehudes „Membra Jesu nostri“ im Abschlusskonzert. Mit der sich anschließenden Bach-Kantate „Nach dir Herr, verlanget mich“ (BWV 150) arbeitete das Ensemble unter Fabio Bonizzoni durchaus überzeugend Buxtehudes Einfluss auf den frühen Bach heraus.
Für den chorischen Höhepunkt hatten bereits am ersten Abend die ORA Singers (Leitung Suzi Digby) gesorgt. Mit unwirklichen Spitzentönen und überragender Homogenität zelebrierten die 18 Sänger im erhabenen Ambiente des Doms St. Peter Miserere-Vertonungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert (Allegri, Byrd, Tallis). Schön, dass mit Wolfram Buchenberg und James MacMillan auch zwei Zeitgenossen zu Wort kamen; schade, dass ihre Werke in diesem Kontext eher abfielen: Buchenbergs „Reflektion über Tallis’ Miserere“ wirkte nach dem magischen Bezugswerk unpassend auftrumpfend, MacMillans längliches Miserere mündet in allzu kalkulierten Wohlklang.
Eine erfreuliche Tendenz des Festivals sind die mittlerweile vorherrschenden pausenlosen Programme mit einer Länge von 70 bis 90 Minuten. Nicht alle Ensembles verstehen es freilich, diesen Zeitraum mit einem entsprechenden Spannungsbogen überzeugend auszufüllen. Konzertdramaturgie Alte Musik – ein neues Berufsfeld tut sich auf.