Manch einer mag sich denken, dass zu einer gut ausgestatteten jüdischen Gemeinde ein Kantor gehört, gelegentlich noch ein Chor sowie eine Orgel. Nur: wie mag sich das anhören? Frisch auf dem Markt ist eine CD mit historischen Aufnahmen aus der sephardischen Tradition; außerdem werden zwei ältere CDs aus der aschkenasischen Richtung vorgestellt.
Manch einer mag sich denken, dass zu einer gut ausgestatteten jüdischen Gemeinde ein Kantor gehört, gelegentlich noch ein Chor sowie eine Orgel. Nur: wie mag sich das anhören? Frisch auf dem Markt ist eine CD mit historischen Aufnahmen aus der sephardischen Tradition; außerdem werden zwei ältere CDs aus der aschkenasischen Richtung vorgestellt.Die 1492 aus Spanien vertriebenen Juden fanden rund ums Mittelmeer im Osmanischen Reich bis nach Sofia als gebildete Leute und qualifizierte Handwerker freundliche Aufnahme. Daraus resultierte das Genre der judeo-arabischen Musik, also arabisch klingender Musik mit jüdischen Inhalten und gegebenenfalls hebräischen Texten. Der aus Algerien stammende, vor einigen Jahren verstorbene Albino Blond-Blond wurde in Frankreich fast wie ein Popstar gefeiert und zur franko-arabischen Abteilung gezählt. Dem entsprechend gibt es auch ottomanisch-jüdische Musik, die sich der Makamlar (arabisch Maqamat) bedient, der regional sowie nach Anlässen et cetera durchaus vielfältigen „Tonvorräte“ sowie des typisch türkischen Usul, der mitunter durchaus komplizierten rhythmischen Organisation, über die die klassische arabische Musik nicht verfügt. Auf „Cantor Isaac Algazi: Sweet Singer of Israel“ (Wergo SM 1622 2) sind 25 Aufnahmen aus den späteren 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wieder veröffentlicht, als das Grammophon sämtliche Mittelmeer-Staaten erobert hatte.Das Medium aus Schellack begrenzte die Titel auf drei Minuten; dennoch zeigen diese Perlen den 1889 in Izmir geborenen, 1950 in Montevideo gestorbenen, professionellen Kantor als einen besonderen Stern am Himmel klassischer osmanischer Musik. Im Wesentlichen singt er Liturgisches, etwa Gebete für die hohen Festtage, auf Hebräisch, aber auch einige Lieder in Ladino, dem Judenspanisch. Begleitet wird er überwiegend von der Zither Kanun oder der Laute Oud, aber auch mal von Chor, Oud und Geige, oder gar von Oud und Klavier, was sich freilich weniger türkisch anhört. Das Begleitheft gibt interessante Informationen und nennt gelegentlich auch Urheber, etwa aus dem 12. Jahrhundert. Ergänzt sei, dass Kemal Atatürk, der sich unter anderem mit Algazi beriet, wenige Jahre später die gesamte klassisch-osmanische Musik in der Öffentlichkeit verbot, weil er den jungen türkischen Staat nach Westen trimmen wollte.
Doch die Türken behielten ihre Platten, und – Gott sei Dank – die türkischen Juden auch.
Aus der anderen Richtung stammen zwei ältere CDs, die zeigen, dass die mitteleuropäischen Juden sich durchaus auch von der Romantik beeinflussen ließen – jüdisches Leben gehört eben untrennbar zu unserer Kultur, wohingegen auf Möllemanns Unkultur unschwer zu verzichten ist. Mit „Adolphe Attia: Les grandes fêtes liturgiques juives“ (Le Chant du Monde LDX 2741033/inak) präsentiert sich der stimmgewaltige Kantor der Grande Synagogue de la Victoire in Paris mit Chor und Orgel. Und Hans Bloemendal ist der nicht weniger faszinierende Kantor der niederländischen Hauptsynagoge in Amsterdam (CD „The Jewish Song“, Philips 442 489-2/PMS), der neben hebräischen Hochzeitsgesängen oder Synagogalgesängen auch einigejiddische Lieder bietet; sechs Lieder singt er im Duett mit seinem 12-jährigen Sohn, bei den anderen wirkt der Synagogalchor mit.