Schule ist ein Ort des Lernens und ein Ort kultureller Begegnung – an diesen beiden Orten, so könnte ein Fazit der Diskussionen während der Bundesschulmusikwoche 2006 lauten, sieht sich die moderne Musikpädagogik zu jeweils gleichen Teilen angesiedelt. Und die Basis des musikpädagogischen Tuns ist, frei nach Telemann, nach wie vor das Singen. Die folgende Berichterstattung über die 26. Bundesschulmusikwoche des VDS, die unter dem Titel „Stimme(n)“ stand, kann nicht auf die gesamte Fülle der Themen, Konzerte, Foren und Weiterbildungsveranstaltungen eingehen, sondern will einige wenige exemplarisch herausheben. Etwa die unten beschriebene Uraufführung des Duos pianoworte gemeinsam mit Schülern der Mönchberg-Volksschule Würzburg. Weiter wurden an dem Wochenende vom 27. bis 30 September eine Reihe von Projekten und Persönlichkeiten ausgezeichnet, die für das Selbstverständnis des VDS, aber auch für den State of the Art der Schulmusik heute stehen. Lesen Sie dazu die Kolumne „Preise zur VDS-Bundesschulmusikwoche“ auf Seite 11
Musikvermittlung ist kein Idyll, sondern Pflichtaufgabe. So lautete es in der Juni-Ausgabe der nmz zum Kongress „Musikvermittlung“ des Deutschen Musikrates in Wildbad Kreuth. Auf dieser Tagung war auch das duo pianoworte aus Niedersachsen mit einem Workshop vertreten. Aus dem Auftritt ergab sich eine Einladung des Verbandes Deutscher Schulmusiker (VDS) zur Bundesschulmusikwoche in Würzburg. Zudem kam die Idee auf, zur Kongressthematik „Stimme(n)” passend auch noch eine Komposition neu zu schaffen. Das Ergebnis war Ende September zu sehen und zu hören: die musikalische Geschichte „Die Plastikpiraten und die Perlenprinzessin“.
Die Künstlergemeinschaft duo pianoworte, bestehend aus Helmut Thiele (Sprecher) und Bernd-Christian Schulze (Klavier), darf wohl zu Recht als herausragender Sachwalter der „Pflichtaufgabe“ Musikvermittlung gelten. Seit über zwölf Jahren sind sie mittlerweile im deutschsprachigen Raum unterwegs und entführen mit ihren Konzertmelodramen „in Welten, die man bisweilen schon verloren glaubte“, wie das Musikblatt 1996 schrieb. Ihr Publikum für dieses heute kaum noch zu erlebende Genre sind überwiegend Kinder. In den Zeiten medialer Reizüberflutung versucht das Duo allein mit zwei elementaren Ausdrucksformen Aufmerksamkeit herzustellen.
Der Brückenschlag zum Verständnis der Musik wie der Sprache ist dabei bewusst gewählt, das Ergebnis im besten Fall die Anregung kindlicher Fantasie. Der gebürtige Wiener Thiele und der aus Norddeutschland stammende Schulze beschränken sich jedoch nicht auf die Reproduktion überlieferten Repertoires, sondern suchten bald nach Beginn der Zusammenarbeit den Kontakt zu Komponisten sowie Textern. So entstanden in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Werke sowohl für Kinder als auch Erwachsene: märchenhaft, lustig, nachdenklich – berührend. Anerkennung fand diese Arbeit in der Resonanz des Publikums ebenso wie in Preisverleihungen, die wichtigste wohl 2002 der Schallplattenpreis Echo in der Sparte „Klassik für Kinder“ für die CD-Aufnahme „Ophelias Schattentheater“.
Im Vordergrund der Arbeit steht jedoch nach wie vor die aktive Verbindung mit dem Publikum, und so gehörte auch in Würzburg zur Uraufführung der Musikgeschichte „Die Plastikpiraten und die Perlenprinzessin“ eine Zusammenarbeit mit Kindern. In diesem Fall waren es Schüler der Klasse D 4 der Mönchberg-Volksschule Würzburg. Zur Erarbeitung in der Schule hatte die Komponistin Juliane Klein einzelne Szenen des Werkes in „Bausteine“ gefasst.
Mit Unterstützung der Klassenleiterin galt es, diese einzustudieren, um sie dann in den Handlungsverlauf während der Aufführung zu integrieren. Lautmalerische Buchstabenspiele, Klangkulissen und Sprechstücke erforderten von den Kindern sowohl Fantasie als auch rhythmisches Feingefühl. Begleitet wurde die Arbeit mit den Schülern durch einen Workshop, den das duo pianoworte im Rahmen der vom VDS veranstalteten Bundesschulmusikwoche gestaltete. Circa 20 Teilnehmer suchten in 90 Minuten im „Eigenversuch“ nachzuvollziehen, was die Kinder in tagelanger Vorbereitung geleistet hatten, und stellten dabei durchaus fest, dass dies höchst anspruchsvoll war. Möglichkeiten der musikpraktischen Umsetzung des Werkes wurden diskutiert wie auch konzertorganisatorische Fragen geklärt. Und so warteten die zwei Künstler, die sie unterstützenden Schüler und die Workshop-Teilnehmer gespannt auf das Ergebnis in Form der Uraufführung in der Aula des ehemaligen Mozart-Gymnasiums.
Möglich wurde diese erst durch die finanzielle Förderung der Pro Musica Viva – Maria Strecker-Daelen-Stiftung. Als Vorlage zur Vertonung durch Juliane Klein diente der Text von Inge Becher. Mit beiden Künstlerinnen verbindet das duo pianoworte bereits eine längere Zusammenarbeit. Dies wurde im Verlauf des Konzertes deutlich. Musste man zunächst noch befürchten, dass die Geschichte aus dem Kinderzimmer der Lebenswelt von Viertklässlern doch schon zu weit entrückt sei, so wurde man schnell eines Besseren belehrt. Von der ersten Minute baute sich Spannung auf, die zumindest die erwachsenen Besucher an E.T.A. Hoffmanns „Nussknacker und Mäusekönig“ erinnert haben dürfte.
Zeitgemäß gesellten sich jedoch zur Prinzessin und ihren Soldaten (den Plastikpiraten) ein Staubsauger und ein Computer, der für die vorübergehende Missachtung des traditionellen Spielzeugs sorgte, am Ende aber gleichberechtigt in die Gemeinschaft integriert wurde – ein kleines Lehrstück über Toleranz, zauberhaft gewandet. Dafür sorgten auch der sparsame Einsatz von Klangbildern durch Spieluhren, über die schiefe Ebene rollende Glasperlen vom Kleid der Prinzessin, eine Kalimba und das vom Pianisten präparierte Klavier. Dieses Verfahren wurde bereits vor dem Konzert für das Publikum erklärt. Die Komposition changierte zwischen tonaler und atonaler Struktur, Leitmotivik half, den roten Faden zu verstärken. Dazu gelang es Helmut Thiele und Bernd-Christian Schulze, in einem ausgewogenen Verhältnis von aktiven, verhaltenen und reflektierenden Momenten durch die Handlung zu führen. Nicht zuletzt trugen die Schüler mit ihren harmonisch eingefügten Stücken zu einer ganz besonderen Wirkung bei, wenn sie voller Anteilnahme die Piraten charakterisierten oder in einem rhythmischen Sprechchor die Handlung vorantrieben. Ein gemeinsamer Chor mit dem Publikum rundete schließlich das Konzert ab.
Fazit: Die Uraufführung, die Arbeit mit den Schülern sowie die Qualifikation im Workshop stellten eine gelungene Symbiose auf dieser Bundesschulmusikwoche dar. Dem duo pianoworte bleibt zu wünschen, den eingeschlagenen Weg solcher Integration von Kindern in den Handlungsablauf ihrer musikalischen Geschichten fortzusetzen, weil es damit einen eigenen Qualitätsmaßstab innerhalb der Konzertpädagogik setzen kann.
Am Ende könnte somit die unbedingt nötige Pflichtaufgabe der Musikvermittlung nicht gleich zum Idyll, aber zur erfolgreichen Kür werden.