Wenn in Berlin über ein Haus der Geschichte nachgedacht wird und gleichzeitig über Sparpläne, was die Opernlandschaft der Stadt angeht, dann wird dabei vergessen: Auch Opernhäuser sind Häuser der Geschichte. Und die sollte man nicht kaputt sanieren. Wenn schon sparen, dann beim teuren name dropping. Wie man mit Teamwork bessere Ergebnisse erzielen kann als mit ausgeprägtem Starkult macht derzeit die mit Ehrungen überhaufte Staatsoper Stuttgart vor. Die Pläne von Berlins Kultursenator Christoph Stölzl zur Erhaltung der drei Berliner Opernhäuser sind jedenfalls auf scharfe Kritik der deutschen Opernintendanz und ihres Vorsitzenden und Generalintendanten der Deutschen Oper, Götz Friedrich, gestoßen. Die Zukunft der Berliner Häuser ist weiter ungewiss. Was die Kulturwissenschaft zur Zukunft der Oper sagt, berichtet Georg Beck für die nmz von einer Tagung in Essen.
Als alles eigentlich schon zu Ende war, wurde es doch noch einmal spannend. Erst die Podiumsdiskussion zur Tagung über die Zukunft der Oper, ausgerichtet vom Kulturwissenschaftlichen Institut und vom Aalto-Theater Essen, konnte der Brisanz des hochsubventionierten, künstlerischen Großunternehmens Oper gerecht werden. Im Gegensatz zur Besetzung der Wissenschaftstagung hatte die Dramaturgie hier eine glückliche Hand. Das machte die Mischung. Komposition (Luca Lombardi, Gerhard Stäbler), Intendanz (Peter Ruzicka, Klaus Zehelein), Journalismus (Gerhard R. Koch) und Wissenschaft (Gertrud Koch) brachten zumindest die Themen auf den Tisch, die die Zukunft dieser Gattung zwischen Skylla und Charybdis, „zwischen Medialisierung und Musealisierung“ (Tagungsunterthema) tatsächlich umschreiben. Zuvor hatte sich eine Phalanx von anglo-amerikanisch-europäischen Opernakademikern zwei Tage lang erhebliche Mühe gegeben, ihr Thema in einen wissenschaftlichen Kokon zu verpuppen und vor den Augen des lauernden „lieben Kollegen“ unangreifbar erscheinen zu lassen. Ob die meisten Referenten an der Zukunft der Oper wirklich interessiert waren oder nicht vielmehr an der Zukunft ihrer Theoriebildungen über die Oper, wollte als Frage aus dem Essener Luftraum einfach nicht verschwinden.
Dass vor allen Dingen die „Musealisierung“ die Wirklichkeit des Operngeschehens landauf landab ziemlich genau beschreibt, ging einmal mehr aus den immer noch erstaunlich konziliant vorgetragenen kritischen Anmerkungen der Komponisten Lombardi und Stäbler hervor, die beide am vorangegangenen Abend im Aalto-Theater eine Opernpremiere (Gounods „Faust“ in der Regie von Michael Schulz) mehr oder weniger durchlitten hatten.
Lombardi befand seine eigene Faust-Oper verständlicherweise um Längen zeitgenössischer, Stäbler äußerte sein Unbehagen angesichts der Verkleidungsbemühungen des Premierenpublikums und hätte sich am liebs-ten unter den Bühnenchor gemischt. Das alte Lied. Wir gehen in die Oper – das klingt immer noch muffig, steif, musealisiert eben. Ob der (wieder einmal) angestimmte Grabgesang auf die Literaturoper schon die Wende anzeigt? Auf jeden Fall sorgte die Ankündigung des Stuttgarter Intendanten Klaus Zehelein für Aufmerksamkeit, demnächst ein Forum Neues Musiktheater aus der Taufe heben zu wollen. Mehr davon – möchte man dazwischenrufen. Denn auch wenn die Experimentierbühne keine wirklich neue Idee ist – sie bleibt wohl immer noch das beste Gegengift gegen die Null-acht-fünfzehn-Inszenierungsgewohnheiten, die den Tod aller Kunst bedeuten wie Zehelein einräumte. Dem schickte Ruzicka die Anmerkung hinterher, dass für die nächste Münchner Biennale eine Internetoper geplant sei.
Die Oper – ein Ort der Verwandlungen, der heftigen Verwandlungen ausgesetzt ist. Dies war die unstrittige Voraussetzung, die der wissenschaftliche Teil der Veranstaltung zur Gattung machte, um die Frage nach ihrer Zukunft großzügig zu ignorieren. Zu beobachten war vielmehr, wie die Oper als Ort und Triebmittel der Obsessionen auch erhebliche obsessive Wirkungen auf den theoretischen Geist ausübt. In Essen nutzte ein rundes Dutzend Wissenschaftler die Oper als Stimulans zur Theoriebildung. Nicht dass jeder dieser Besprechungsunternehmen für sich genommen reizlos gewesen wäre. Notwendig war allerdings, die sprießenden Theoreme von den untergemischten Beobachtungen abzutrennen. Nicht die Schlussfolgerungen, die Prämissen lohnten, festgehalten zu werden. Sei es nun der Hinweis eines impulsiv argumentierenden Slavoj Zizek, wonach die (wagnerischen) Geschlechterpaare, die auf der Bühne von ihrer Liebe singen, nicht sich anschauen, sondern ihren Blick ins Leere richten. Wen meinen sie? Meinen sie es „ernst“? Ist ihr „metaphysischer Blick“ „intermedial“ zu verstehen als Umlenkung des Interesses von den Augen auf die Ohren? (Tristan, sterbend: „Wie, hör’ ich das Licht?“)
Oder sei es der unter heftiger, zitatcollagierender Anrufung Adornos zu Wege gebrachte Fingerzeig von Alexander Garcia Düttmann, der im Sinne des großen Übervaters die publikumstreibende Kraft in der dramatischen Form der Oper selbst (wieder-) entdeckte. Von hier aus, im „Sein (der Oper) für Anderes“ bedürfe es, so Düttmann, auch keiner gesonderten Kommunikations- oder gar Integrationsbemühungen. Dies war ein polemischer Seitenhieb auf Udo Bermbachs Forderung nach konsequenter Öffnung der Oper und Mobilisierung des Publikums, um die in die Oper investierten öffentlichen Mittel zu rechtfertigen und um andererseits selbst etwas für die Heranziehung eines Opernpublikums zu tun. Zukunft der Oper praktisch. In Essen geriet die Selbstverständlichkeit dieser Anmerkung angesichts der beeindruckend aufgebotenen Metatheorien (Psychoanalyse, Kritische Theorie, Strukturalismus, Genderstudies, Übersetzungs-, Filmtheorie und ähnliches) unter den Verdacht eines theorielosen Simpelzusammenhangs – was auch ein Ausdruck dafür sein mochte, dass Bermbachs politologisches Deutungsinteresse in den Augen seiner Wissenschaftlerkollegen Patina angesetzt hat und wenig Anlass für einen die Theoriebildung befeuernden „kick“ bietet. So gesehen waren die Tipps des Opernfreundes Bermbach (Operncafés, Opernläden, Opernbesichtigungen mit Blick hinter die Kulissen, Probenbesuche, Matineen etc.) in diesem Publikum irgendwie „under level“.
Viel war in Essen von Wagner die Rede. Am Großmeister der überwältigenden Bühnenmagie wollte keiner vorbei, hatte auch keiner etwas zu meckern. So war es schließlich kein Wunder, dass der Vortrag der erbwilligen Urenkelin Nike Wagner gerade angesichts der unter heftiger öffentlicher Beteiligung ausgetragenen Diadochenkämpfe auf dem Bayreuther Hügel den meisten Publikumszuspruch verbuchen durfte. Ihr Kotau vor Wolfgang Rihms Musiktheatertheorie und -praxis war als Referat hingegen eher enttäuschend. Andererseits, warum sollte ausgerechnet auf der Wissenschaftsbühne nicht gelten, was ansonsten immer gilt? – Geh’ weg, lass mich ran.