Man geht nicht ganz leichten Zeiten entgegen. Der Prolog zum Programmbuch gab eine Beschwichtigung aus, die die Schlussworte des Festivalleiters Hans-Peter Jahn wieder revidierten. Der geringere Umfang des diesjährigen Eclat-Festivals sei der Gewichtsverlagerung auf das im Frühsommer ebenfalls in Stuttgart stattfindende Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik geschuldet. Das mag man einsehen. Doch zum Abschied bekam man mit auf den Weg, dass der SWR-Intendant Peter Voß die Gelder für Uraufführungsverträge in Bezug auf Eclat fortan gestrichen hat. So einfach geht das! Schulterzucken, das Bekunden, dass es einem selbst leid täte, es aber angesichts der angespannten Finanzlage nicht anders… Man will es schon gar nicht mehr hören.
Dass hier an der Spitze des gegenwärtigen musikalischen Bewusstseins gearbeitet wird und nicht etwa ein paar verschrobene Krachmacher öffentlich-rechtliche Gelder verprassen, steht nicht zur Debatte. Die Klöster des Mittelalters waren da generöser, aber dieser Zeit sind wir ja entkommen, wie wir im Karikaturen-Streit immer wieder erfahren.
Freilich: Eclat wurde in diesem Jahr seinem Titel nur bedingt gerecht. Das Anstößige oder auch geistig Anstoßende, das sich das Festival per Namensgebung selbst verordnete, mochte sich nicht so recht einstellen. Zum 49. Male wurde hier der Kompositionspreis der Stadt Stuttgart vergeben. Das ist eigentlich eine ehrenwerte Sache, aber irgendwie ist dieses Verfahren aus der Zeit gefallen. Jahn hielt eine zwielichtig schillernde Rede über die Entscheidungsfindungen in Jurys. Wirklich ist es so, dass man sich im ästhetisch spektral besetzten Gremium wohl nie auf radikale Ansätze einigen kann, auf die also, die allein das Fortkommen der Kunst befruchten. Die Mitte, nach Schönberg der einzige Weg, der in der Kunst nicht zum Ziel führt, hat Konjunktur und das bestätigte sich denn auch in Johannes Boris Borowskis „Ein Gleiches“ und im Streichquartett (Kairos Quartett) von Stefan Keller. Es scheint, als würden Wettbewerbe mutlos machen und entindividualisieren, als würden sie Handwerk einfordern, wo es der Kunst gälte. Zwei klanglich spannend konzentrierte Kompositionen des Spaniers Alberto Hortigüela und des Chinesen Shi-Rui Zhu wiesen zumindest bedingt nach, dass die Schärfe des Blicks im orchestralen Metier nicht unbedingt verstellt sein muss.
Das war irgendwie Alltag der Moderne, es war kein Flop. Der aber stellte sich traurigerweise dann auch noch ein. Und zwar mit dem Hauptwerk des Festivals, das von ihm auch charakterlich grundiert werden sollte. Es war der musiktheatralische Essay über Dürers „Melencolia I“ mit dem Titel WAHR.HAFT.ICH von Wolfgang Florey (Jahrgang 1945). Man möchte gewiss nicht einem mutigen, provokanten Ansatz in die Parade fahren. Doch davon fand sich nichts. Florey hatte auf der Basis von Dürers so enigmatischem Kupferstich, der schon Legionen an Deutern herausforderte, Texte zusammengestellt: von Hesiod, Hölderlin, Dürer und von geistig erkrankten Euthanasie-Opfern im Nazi-Vernichtungslager Hadamar. Man mag schon stark zweifeln, ob sich der Begriff der Melancholie angesichts dieser Menschenverachtung überhaupt noch auf vergleichbarer Ebene bewegt. Aber wenn schon, dann hätte die Musik hier maßgeblich einzugreifen. Die Konzeption der Textcollage, will sie nicht zur Lesung verkommen, wäre nur musikalisch zusammenzubinden. Florey, er mag schon ein paar griffige Theatermusiken geschrieben haben, vermochte das nicht. Es waren kläglich uninspirierte klangliche Einwürfe, trivial, aber ohne den Stachel einer kühnen Trivialität zu setzen. So wurde alles, die hausbackene Inszenierung (auch Florey) auf dem Niveau eines Schüler-Lehrstücks, das erzwungene Pathos, die schiefen Assoziations-Bilder nur zerdehnt und peinlich. Die Brisanz des Sujets hätte der Brisanz künstlerischer Umsetzung bedurft. Das ist fraglos ein schmaler Grat. Von dessen Höhe und Gefährlichkeit war nicht einmal zu ahnen.
So blieben als Entschädigung zwei interpretatorisch auf höchstem Niveau stehende Konzerte (das französische Ensemble Intercontemporain, die Neuen Vokalsolisten, das ensemble ascolta und das Trio Accanto), in denen dann wirklich Vielfalt, Weite und Schonungslosigkeit des Ansatzes zu hören waren. Da waren als Uraufführungen mikrotonal feine Verästelungen in „…für Viola und sechs Stimmen“ des Österreichers Georg Friedrich Haas und in Walter Zimmermanns „Das Zwiegespräch der zwei Rosen“, beides kühne und grundverschiedene Lotungen in fragilen Intervallverhältnissen, da war ein verblüffend frisches, geradliniges und zugleich lustvoll kantiges Stück „spazio elastico“ von Olga Neuwirth und ein schrundiges, aus zäher Tiefe sich windendes „Gegenstück“ von Wolfgang Rihm. Hier blühte Neues als Suche, als Wagnis, als Fund. Werke des englischen Exzentrikers Jonathan Harvey, von Harrison Birtwistle und Rebecca Saunders sowie das bestürzend um tiefere Exegese eines Lukas-Textes aus dem Neuen Testament ringende „durch“ des Franzosen Mark André rundeten den Eindruck ab. Pfade im Neuen wurden sichtbar, die Lust wuchs, ihnen nachzugehen und nachzulauschen.