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Martyna Cymerman (Poppea), Leandro Marziotte (Ottone). Foto: Stephan Walzl
Martyna Cymerman (Poppea), Leandro Marziotte (Ottone). Foto: Stephan Walzl
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Pikante Intrigenaffäre – Georg Friedrich Händels Oper „Agrippina“ als Polit-Schwank am Staatstheater Oldenburg

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Schon in der Pause gab es anhaltenden Beifall, der sich nach der Aufführung zu Ovationen steigerte– und das bei einer Spielzeit von dreieinhalb Stunden. Georg Friedrich Händels 1709 in Venedig uraufgeführte Oper „Agrippina“ versetzte schon das Uraufführungspublikum in einen Begeisterungstaumel, es folgten damals 27 Vorstellungen. Die überaus gelungene Aufführung am Staatstheater Oldenburg zeigte deutlich, dass es heute nicht nur für jedes große, sondern auch für jedes mittlere Theater absolut erforderlich ist, sich mit den aufführungspraktischen Bedingungen der Entstehungszeit auseinanderzusetzen. Wird das ernst genommen und gelingt es wie hier, dann können solche Aufführungen Festspielcharakter erreichen.

Die historische Agrippina – nach Tacitus – ermordete ihren Gatten Claudius und wurde von ihrem Sohn Nero umgebracht. Dem barocknotorischen Happy-End zuliebe wurde das im Libretto von Vincenzo Grimani natürlich abgeschwächt, aber es blieb eine pikante Intrigenaffäre übrig, in der Agrippina eine skrupellose Drahtzieherin ist. Mit dem troddelig-misstrauischen Claudius, dem throngierigen, pubertär-dreisten Sohn Nero, dem verliebten General Ottone und der von allen dreien zugleich begehrten Adelsdame Poppea, die ihrerseits eine beinahe erfolgreiche Gegenintrige anzettelt, ergibt sich ein klamaukträchtiger Polit-Schwank, auf dessen Höhepunkt sich die Gegenspieler im Boudoir der Poppea gegenüberstehen: „Himmel, ist das alles verwirrend!“ stöhnt Poppea.

Es hat in dreieinhalb Stunden keinen einzigen Hänger gegeben, so sehr hat der englische Regisseur Laurence Dale die Figuren individuell durchgezeichnet, so sehr hat er die Kollisionen satirisch zugespitzt und so sehr hat er damit die Verlogenheit eines politischen und moralischen Zynismus erreicht – wenn das nicht zeitgemäß ist! Nina Bernsteiner als Agrippina bot alle Facetten ihrer an Zwischentönen überreichen Rolle mit permanent doppelten Botschaften und verband das mit blitzendem Koloratur-Furioso. Joao Fernandes, stimmlich schwer in die Gänge kommend, glänzte vor allem durch seine schauspielerische Leistung: immer lauernd und misstrauisch, was gerade um ihn herum geschieht und dann wieder von dümmlicher Machtausübung, wenn er sich zum Jupiter Roms emporprahlt – ramponiert und humpelnd, einfach großartig. Der Countertenor Leandro Marziotte barfuß im Jesus-Look, er sieht sich vom ganzen Hof verlassen und sein ergreifendes Lamento wird einer der musikalischen Höhepunkte der Aufführung. Poppea wird gesungen von Maryta Cymerman, kratzbürstig und überlegen, eine schillernde und echte Gegenspielerin von Agrippina. Und Hagar Shavit macht aus dem rothaarig punkartigen Nerone (im Original Soprankastrat) ein verwöhntes und durchgeknalltes Muttersöhnchen, das mal auf Mamas Schoss sitzt und mal allerlei Ohrfeigen der maßlos ehrgeizigen Frau bezieht.

Dem jungen Dirigenten Jörg Habulek, vielseitig ausgebildet in der historischen Aufführungspraxis, ist es gelungen, mit dem Barockensemble des Oldenburgischen Staatstheaters und dazu engagierten drei Theorben ein Klangkollektiv zu bilden, dessen Ausstrahlung weit über das hinausging, was man normalerweise als „Dienst“ in der Oper hört und was ja auch nicht gerade schlecht ist. Klangfarben, Artikulationen, Gesten: Händels Pendeln zwischen der venezianischen Operntradition mit kleinteiligen Strukturen und rasch wechselnden Affekten und dem neapolitanischen Schematismus der Affektarien, auch zwischen Seria-Pathos und dessen Karikatur, unterstützte die Szene bestens und immer kurzweilig. Wir wissen ja nun seit langem, welcher Theatermeister Händel war, umso schöner, es wieder einmal bewiesen zu bekommen mit dieser fünften Oper des erst 24jährigen Komponisten. 

Wunderbare Ergänzung auch das einfach-fantastische Bühnenbild (Tom Schenk) mit den ebenso simplen wie effektvollen Spiegeleffekten und die historischen Fantasie-Kostümen von Robby Duiveman. Es passte alles an diesem ebenso ergreifenden wie unterhaltsamen Abend an dem es viel zu lachen gab.  

  • Die nächsten Aufführungen: 22. und 29.10., 6., 9. und 24.11., 8. und 16.12 2016 

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