Man sitzt ruhig und es wird dunkel im Zuschauerraum … und dann turnen da finstere Gestalten durch die Seitentüren auf die Bühne. Der Vorhang öffnet sich zu einem großen Guckkastenauge – größer als im Kaiserpanorama des benachbarten Deutschen Museums (Bühne Karl Fehringer und Judith Leikauf). Darüber prangt „Piraten von Penzance“ – nur kurz zum „Arrgh“-Schlachtruf, „Bl-Bl-Bl“-Zungenschnalzer und wilden Sprüngen von zwei Bilderbuch-kostümierten Mannsbildern, denn diese Erschütterungen lassen gleich zwei Buchstaben des Titels abblättern. Der Schwerterkampf der zwei ist alberne Show und dann wird ihnen von einer gewichtigen Amme per Ausbildungsvertrag ein kleiner Junge anvertraut. Dazu wabert im Guckkastenauge ein wildes Leinwand-Meer mit zwei großen Spielzeugschiffen, wobei die süß rauchenden Kanönchen der Piraten das englische Schlachtschiff „enter-reif“ schießen. Dann fährt das Panorama-Auge hoch und eine wilde Siegesfeier des herrlich schräg kostümieren Piratenchors (Birte Waldbaum) gipfelt im fulminanten Solo des Piratenkönigs von Daniel Gutmann: dessen blendende Bühnenerscheinung vereint rollengerecht protzige Bariton-Phrasen mit sportiven Seilschwüngen zwischen Mast, Bug und Reling, gipfelnd in einem Salto rückwärts – Whow! – erster Szenenbeifall.
Diese muntere Stimmung hält eine Weile an. GB-Landsmann Anthony Bramall im Orchestergraben trifft natürlich den eingängigen Tonfall von Sullivans Komposition mit ihrem Melodienreichtum zwischen Lied, Arie, Polka und Galopp. Per Zeitsprung ist aus dem Knaben der schmucke Frederic, der heute Nacht „21“ wird und damit als Piratenlehrling – „Pflicht ist Pflicht“ – kurz vor dem Abschluss steht und mit dem schönem Tenor von Matteo Ivan Rašić was vom Leben erhofft. Dazu dreht eine schöne Strandbucht herein und eine ganze Schar reizender Töchter nimmt sich entgegen dem Rauschen ihrer üppigen Upper-Class-Roben die „Freiheit ohne zu baden“, sprich: ohne Handschuhe im zeitgemäß züchtigen Ganzkörperbadeanzug. Die kesse, rothaarige Mabel von Julia Sturzlbaum sticht mit Spitzentönen, Koloraturen und dazu Spagat heraus – prompt verlieben sich Frederic und sie. Dann fährt aus dem Sand die Karikatur eines englischen Generalmajors zu Pferd hoch, den nicht seine militärische Ignoranz oder die Fähigkeit, alle Melodien der „Fledermaus“ pfeifen zu können, vor den Piraten rettet, sondern deren ganz spezielle Moral: Waisen werden verschont – am Ende wird klar: sie sind verarmte, gelangweilte Lords. Und diese milde Stimmung gipfelt in dem musikalisch und emotional eindringlichsten Ensemble: alle vereint preisen die Poesie, die die Welt veredelt – erfüllt musiziert, ein eher leiser, kunstvoller Kontrast zum Wirbel des „Paradox“-Trios auf Galopp-Cancan-Offenbach-Niveau.
Die Fülle weiterer Albernheiten hat es schwerer: Bissigkeiten über den englischen Klassen-Hochmut verpuffen; die ängstlichen Polizisten verstecken sich in einer Gruft und kommen Spinnweben-bedeckt wieder heraus; Mabels Traum vom „Home-Sweet-Home“ muss von Hilfskräften arrangiert werden und erst ihr Tritt gegen die Verkleidung bringt den Kamin mit Elektro-Rotlicht und Papierstreifen-Gewabere zum „Glühen“; Frederics Geburt am 29.Februar jedes Schaltjahrs lässt ihn von 21 auf 5-einviertel Jahre schrumpfen, unmündig, Piraten-Vertragsgebunden, 63 Jahre Wartezeit … ein Scheitern aller wird durch den Bühnencoup verhindert: aus dem zuvor hereingetragenen Kunst-Garten-Grün fährt Queen Victoria mitsamt ihren Pekinesen im Thronsessel hoch – alles gerettet, Frederic wird „Lord in Training“. Das hat Choreograph-Regisseur Adam Cooper sehr bewegt mit immer wirbelnden Tanzschritten inszeniert: mit mehrfach gebrochener Theaterillusion, wenn Bühnenkräfte umbauen, weil eben im Kaiserpanorama etwas „vorgeführt“ wird – bis hin zu den Kabinettstückchen von Sigrid Hauser als Amme-Piratenmädchen-für-alles und schließlich Generalmajorsbraut. Es wurde sehr gut gesungen … vielleicht bremste noch die Premierenanspannung die Bühnengaudi vor dem wünschenswerten Abgrund-Nonsense-Irrwitz … doch das Premierenpublikum war in diesen unseren ratlos-düsteren Tagen einfach dankbar: Jubel und standing ovations für alle.