Hauptbild
Edvina Valjevcic (2. Sekretärin Maos), Alfred Kim (Mao Tse-tung), Petr Sokolov (Richard Nixon), Jemima Rose Dean („Ich“, eine Frau), Hyona Kim (1. Sekretärin Maos), Maria Hiefinger (3. Sekretärin Maos), Daegyun Jeong (Chou En-lai), NRW Juniorballett. Foto:
Edvina Valjevcic (2. Sekretärin Maos), Alfred Kim (Mao Tse-tung), Petr Sokolov (Richard Nixon), Jemima Rose Dean („Ich“, eine Frau), Hyona Kim (1. Sekretärin Maos), Maria Hiefinger (3. Sekretärin Maos), Daegyun Jeong (Chou En-lai), NRW Juniorballett. Foto:
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Politik braucht die große Bühne – „Nixon in China“ von John Adams in Dortmund

Publikationsdatum
Body

An der Oper Dortmund landete Richard Nixon nach einem halben Jahrhundert noch einmal in Peking: Martin G. Berger inszeniert „Nixon in China“ von John Adams als Revue der Erinnerung.

Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass der konservative Republikaner Richard Nixon die Phase beendete, in der die USA so taten, als gäbe es die Volksrepublik China nicht. Am 21. Februar 1972 landete die Air Force One des Präsidenten auf dem Pekinger Flughafen und Nixon betrat als erster US-Präsident chinesischen Boden. Nixon hatte die historischen Bilder für die Nachwelt, die er wollte. Ein besonderes kam noch hinzu. Auch Mao selbst empfing den Präsidenten. Man könnte aus heutiger Sicht sagen, dass damit jene Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Welt begann, in deren Verlauf China zu einer Weltmacht aufstieg, an deren Ambitionen die Führungsmacht des Westens heute nicht vorbeikommt. Dass China zum langfristigen Hauptkonkurrenten der westlichen Supermacht aufsteigen würde, war damals nur eine vage Vision.

Es passiert nicht allzu oft, dass ein Ereignis der Zeitgeschichte mit nur 15 Jahren Abstand zum Gegenstand von Musiktheater wird. Der Opern-Dreiakter „Nixon in China“ von John Adams ist aber so ein Beispiel. Alice Goodman hat weder gut abgehangene, noch sich gerade ins Publikumsbewusstsein kämpfende Literatur zum Libretto verarbeitet, wie es bei Opernnovitäten in Europa zumeist der Fall ist. Was 1987 unter dem Titel „Nixon in China“ in Houston uraufgeführt und dann auch in Europa immer wieder nachgespielt wurde, greift mit dem damals weltweit beachteten Staatsbesuch Nixons in einem Land, mit dem es noch nicht einmal diplomatische Beziehungen gab, auf. Zu einer Zeit also als sich das Publikum noch an die Nachrichten dazu erinnern konnte und die Haupt-Akteure noch lebten. 

Der „große Vorsitzende“ Mao war zwar schon 1976 gestorben, aber sein trickreicher Besucher Richard Nixon versuchte noch bis 1994 als Ex-Präsident sein vor allem durch die Watergate-Affäre ramponiertes Bild für die Nachwelt wieder aufzupolieren.  Seine Frau Pat starb ein Jahr vor ihm. Selbst die berüchtigte Mao-Witwe Chiang Ch’ing hätte in ihrem Kerker, in dem das formell zum Tode verurteilte Haupt der sogenannten Viererbande den Rest ihres Lebens (bis 1991) verbrachte, von ihrem Opern-Alterego etwas erfahren können. Nur der mittlerweile fast einhundertjährige Henry Kissinger schafft es immer noch, mit strategischen Ratschlägen die politischen Akteure von heute zu beeindrucken bzw. in Rage zu versetzten. 

Jede Inszenierung einer Oper, die sich so auf unmittelbare Zeitgeschichte einlässt, muss damit umgehen, das die vermeintliche Aktualität mit der Zeit von einer gewissen Patina überzogen wird. Eine Überzeichnung des Personals im Lichte historischer Erkenntnisse (und nachfolgender Entwicklungen) und der Versuch, den handelnden Personen „Gerechtigkeit“ angedeihen zu lassen, kann dabei ebenso eine Option sein, wie zu zeigen, was sie bewegt haben mag. Adams liefert für alle Aspekte Vorlagen. Martin G. Berger (Regie), Sarah-Katharina Karl (Bühne), Alexander Djurkov Hotter (Kostüme) und Vincent Stefan (Video) greifen diese Interpretationsmöglichkeiten in ihrer Dortmunder Inszenierung auch auf. Was zwar nicht wirklich zu einer stringenten Erzählung, aber allemal zu opulenten Bildern führt. Die hinzugefügte Frauen-Figur, die Berger einfach „Ich“ nennt, vertritt sozusagen die durchschnittliche amerikanische Zuschauerin, die das Weltgeschehen am Bildschirm mitverfolgt und auch mit den Akteuren altert. Bei Adams und seiner Librettistin Alice Goodman wird damit die protokollarische Ebene des Staatsbesuches durch eine der Erinnerung der Akteure an die jeweils prägende eigene Vergangenheit, substanziell „vertieft“.

So erleben wir zunächst ein Theater der Eitelkeiten, das bewusst immer wieder zur Revue der Selbstdarstellung für die aufeinandertreffenden Protagonisten aufgeblasen wird. Maos Premierminister Chou En-lai (Daegyun Jeong) wirkt da noch am ehesten wie ein Erwachsener. Bei allen anderen setzten die Kostüme auf modischen und personellen Wiedererkennungseffekt. 

Die Protagonisten singen und spielen durchweg auf einem beeindruckenden Intensitätsniveau. Das gilt besonders für Petr Sokolov und Irina Simmes als Richard und Pat Nixon sowie Morgan Moody als deren Begleiter Henry Kissinger. Auf der chinesischen Seite spielen besonders Alfred Kim als Mao und sowie Hye Jung Lee als dessen Frau virtuos die Wiedererkennbarkeit ihrer historischen Vorbilder aus.

Die typisch amerikanische Minimal Music ist in Dortmund die Steilvorlage für einen maximalen Aufwand. Was da am Ende beim Schlussapplaus an Personal versammelt ist, braucht schon eine so große Bühne wie die in Dortmund, um allen Platz zu bieten. 

Neben den Protagonisten und dem mit einem Projekt-Extrachor aufgerüsteten Opernchor des Hauses (Einstudierung: Fabio Mancini) kommt in dem Falle noch ein von Mark Hoskins einstudiertes „Senior*innentanztheater“ hinzu. Mal abgesehen davon, dass diese Sternchen-Schreibweise hier besonders dramaturgen- bzw. sprachideologisch, sprich deplatziert albern wirkt, machen die Damen und Herren ihre Sache wirklich gut und mischen den eher glatten Showeinlagen von nachempfunden roter Pekingoper und flacher US-Revue eine Prise von witzigem, handgemachtem Als-ob-Theater bei. Es macht Spaß zu sehen, wie da die altgewordenen Heroen der Zeitgeschichte sich lange nach ihrer großen Zeit im Altersheim versammeln. So gekachelt wie die Wände anmuten und so energisch, wie die Pfleger hier auftreten, könnte es auch eins von den besonderen Sanatorien sein, die man nicht so ohne weiteres wieder verlassen könnte. Die Akteure des Staatsbesuches von einst und die dazu erfundene Alltagsfrau (Jemima Rose Dean) begegnen da Marx und dem Papst oder Fidel Castro und Che Guevara ebenso wie dem Ehepaar Peron (Evita in großer Musicalpose versteht sich), Maggi Thatcher, der Queen, dem Ehepaar Honecker und noch einer Reihe anderer Promis von einst. 

Wirklich interessant wird es, wenn Pat Nixon den Chinesen etwas vom American Way of Life erzählt und beim imaginierten Blick der Miss Liberty nach innen ins eigene Land, dann aber ein wiederauferstandener, sprichwörtlich Unbekannter Soldat die zuckersüße Idylle zertritt oder das reaktionäre Frauenbild eines patriarchalischen Wohlstandskapitalismus aufblitzt. Musikalisch hat man das Gefühl, dass Adams hier an den Drive der Westside Story erinnern wollte. Inhaltlich ist das noch der beeindruckendste Teil des Abends. Ansonsten setzt er mit seiner szenischen Nummernfolge dem kreisenden, sich wiederholenden und überlagernden Sound der pulsenden Musik nicht wirklich etwas entgegen, sondern schließt sich dem eher an. Musikalische Präzision und Balance mit dem Protagonistenensemble gelingt der Dirigentin Olivia Lee-Gundermann dabei im zweiten Teil des Abends besser als im ersten. Da wirkt auch Adams sogar abwechslungsreich – etwa mit einer Sturmmusik, die alle von der Bühne fegt. Dennoch bleibt die Verweigerung einer musikalischen und auch szenischen Vorwärtsstrategie, gerade wenn der Text ins banal Poetische gleitet, eine Herausforderung für den Aufmerksamkeitspegel des Publikums. 

Alles in allem rechtfertigen der Einsatz aller Protagonisten, des Orchesters und der Chöre am Ende den einhelligen Beifall für eine beachtliche Kunstanstrengung der Oper Dortmund, auch jenseits ihres allseits hochgelobten Programmschwerpunktes  zum „Kosmos Wagner“.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!