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Nikola Hillebrand, Olivia Boen. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Nikola Hillebrand, Olivia Boen. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

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Politischer Größenwahn und Familiengefühle – Mozarts erste „opera seria“ zum ersten Mal an der Staatsoper Hamburg

Vorspann / Teaser

Kaum zu glauben, dass „Mitridate, Re di Ponto“ von Wolfgang Amadeus Mozart, an der Staatsoper Hamburg noch nie gespielt wurde. Umso schöner ist es, dass jetzt eine in jeder Hinsicht gelungene Aufführung bejubelt werden konnte.

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Die Story vom pontischen König Mitridate, der 63 v.Chr. seinem kriegerischen Wüten – seit dreißig Jahren – gegen die Römer einerseits und gegen seinen beiden rivalisierenden Söhnen Farnace und Sifare andererseits nach innerer Wandlung Reue und Selbstmord folgen lässt, präsentierte die Regisseurin Birgit Kajtna-Wönig in einer ebenso klugen wie ergreifenden Analyse der Eigenarten der sogenannten „0pera seria“. 

Als Auftrag des Teatro Regio Ducal in Mailand hatte der 14-jährige Mozart 1770 nach einem Drama von Jean Racine zum ersten Mal eine „opera seria“ geschrieben, d.h. dass es neben dem rezitativischen Fortgang des Inhalts für jeden Affekt Arien gibt. Und die musikalische Genauigkeit in seelischer und charakterlicher Dimension erreicht in diesem Werk des jungen Komponisten eine erschütternde Tiefendimension. Gleich, ob es sich bei den stets und atemlos stürmischen Gefühlen um Macht, Eifersucht, Verzweiflung, Angst, Sehnsucht, Liebe, grenzenlose Einsamkeit oder aber Todesvisionen handelt. Und da ist die Regisseurin auch nicht zimperlich: Die Brüder schlagen sich, Mitridate vergewaltigt seine untreue Verlobte Aspasia. 

Die MusikerInnen sitzen auf der Bühne und werden unterschiedlich in das Herrschaftsgebiet des Mitridate hereingeholt oder weggeschickt bis zu dem Augenblick, als Mitridate den Dirigenten Adam Fischer mal kurz vom Dirigentenpult wegschubst zu den Worten: „Ich werde euch vernichten!“ singt er auf dem Höhepunkt seines Machtwahnes dazu. Für diese Konzeption braucht es kein Bühnenbild: ein Teppich im Vordergrund, in Videoprojektionen abstrakte Teile, die mit einem historisch verbürgten Meteoreinschlag zu Mitridates Lebzeiten spielen, bedrohliche Felsbrocken über allem und unhistorische Fantasiekostüme: Videos von Mara Wild und Kostüme von Marie Luise Otto. 

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Seungwoo Simon Yang, Adriana Bignagni Lesca, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Seungwoo Simon Yang, Adriana Bignagni Lesca, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg. Foto: Brinkhoff/Mögenburg

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Die sängerischen Anforderungen an alle Rollen sind mehr als gewaltig: Etwas schade, dass die Kastratenrollen der rivalisierenden Brüder Farnace und Sifare nicht von Männern besetzt wurden, aber Adriana Bignagni Lesca als dauererregter Farnace mit seiner aufklärerischen Einsicht, dass Vernunft Recht und Ehre retten muss und Olivia Boen als zarter Sifare leisteten Mitreißendes – unvergesslich Sifares „Horn“-Arie. Nikola Hillebrand als gifttrinkende Mitridate-Verlobte Aspasia, Robert Murray als verrückt-wirrer Despot  in seinen fünf psychisch fundierten Arien seines Verfalls mit schwindelerregenden Tenorhöhen – bis mehrfach zum hohen C. 

In den späteren Opern, besonders den da-Ponte-Opern, wird Mozart das Ensemble beispielgebend und nie wieder eingeholt entwickeln. Die Tiefenschärfe, die er hier in den einzelnen seelischen Affekten erreicht, werden später kaum noch besser. Das zu erkennen und zu erleben, ist neben den SängerInnen dem unerhört guten Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Fischer zu danken: die Produktion wird in diesem Sommer nach Salzburg ziehen. Stehende Ovationen.

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