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DJ Michael Rosen bei der Arbeit. Foto: Dominique Steiner
DJ Michael Rosen bei der Arbeit. Foto: Dominique Steiner
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Post-digitale Nachwuchsförderung auf der Bananeninsel

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Klub und Klassik elektronisch vereint: zum MadeiraDig Festival im Dezember in Portugal
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Rechts sehen Sie die Banane. Die Banane muss viereinhalb Jahre wachsen, ehe man sie ernten kann, sagt Luzy. Herr Mayer vom Bayerischen Rundfunk hält beharrlich sein Mikrofon der Fahrerin unter die Nase, während sie ihren Kleinbus sicher und ohne Unterlass sprechend über die kurvige Landstraße steuert. Herr Mayer ist glücklich über die ersten O-Töne für seine Radio-Reportage von der tadellos deutsch sprechenden Luzy, die uns von der Hauptstadt Funchal auf der Insel Madeira zum Zielort bringen soll.

Luzy weiß alles über Bananen. Sie ist auf der Insel geboren als Tochter eines Bananenbauern. Aufgewachsen zwischen Bananenstauden, hat sie Madeira bislang nie verlassen und spricht doch mehrere Sprachen fließend. 

Aber wir sind nicht wegen der Bananen auf Madeira, sondern wegen der Musik. Insbesondere wegen der elektronischen Musik sowie deren aktuellen Strömungen. Unter diesem relativ undefinierten Beisatz und dem Namen „MadeiraDig“ findet auf der portugiesischen Atlantikinsel jeden Dezember ein ambitioniertes, doch überschaubares Festival in dem kleinen Küstenort Ponta do Sol statt: „Festival for digital music & art“ heißt es auf dem zuständigen Programmblatt. 

Von der elektronischen Musik weiß Luzy, die Fahrerin, nichts, wenn sie auch sonst alles über die Insel weiß, denn sie ist auch Bergführerin. Normalerweise, sagt Luzy, kommen die Leute zum Wandern nach Madeira und nicht wegen der Musik.

Der Direktor des Festivalhotels, der Quinta da Rochinha, André Diogo, ist einer der Väter des Festivals, wie er sagt. Schon die stringente Einrichtung und zwanglose Stimmung des spektakulär an der Steilküste gelegenen Hotels spricht für die sensible Stilauffassung des Direktors. „MadeiraDig“ gibt es seit sieben Jahren, so Diogo, und es ist für ihn ein Kind mehrerer gleichberechtigter Väter, die sich über die positive Entwicklung des Festivals in diesen Jahren freuen. Maßgeblich an der Programmgestaltung beteiligt ist seit fünf Jahren der Berliner Michael Rosen. Als Veranstalter vertritt Rosen den Ansatz, Musik in einen ungewöhnlichen Rahmen zu stellen, so zum Beispiel zeitgenössische Klassik in den Kontext von Clubmusik oder eben neue elektronische und elektroakustische Musik in ein Museum auf Madeira, letztenendes auch wieder ein moderner Raum, für die Hochkultur gebaut. 

Im Übrigen ist „MadeiraDig“ kein Einzelfall mit der Verbindung von Klub und Klassik auf elektronischer Ebene. Die amerikanische Kuratorin Jennifer Dautermann verfolgt mit dem „C3“ Festival in Berlin, das im November über die Bühne gegangen ist, eine ganz ähnliche Idee, nämlich eine jüngere Generation von Musikern und Komponisten zusammenzubringen, die sich mit der Erforschung elektronischer Klangwelten beschäftigen, egal welchem Musikstil sie des Weiteren zugeordnet werden. Auch schon in den frühen 70ern sind prominente Musiker wie Brian Eno dem Ruf der experimentellen Musik als Privatbeschäftigung von Spezialisten entgegengetreten, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Zumindest in manchen musikalischen Biotopen wie der New Yorker Downtown-Szene gibt es immer weniger Berührungsängste zwischen zeitgenössischer Klassik und jenen Strömungen, die gemeinhin der Popkultur zugerechnet werden. 

Ein besserer Ort, um ein relativ kleines Musikfestival für teils „schwierige“ elektronische Avantgarde-Musik abzuhalten als die Ponta do Sol auf Madeira ist freilich kaum vorstellbar. 

In dem im Nachbarort Calheta gelegenen Museumskomplex Centro das Artes/Casa das Mudas finden an vier Abenden je zwei Konzerte statt, danach geht es mit dem Shuttlebus wieder zurück zum Festivalzentrum und -hotel, wo die meisten der vom Festland angereisten Festivalbesucher und Künstler übernachten. Den Auftakt am Freitag bestritten Taylor Deupree (USA) mit Jerome Faria aus Portugal sowie Tim Hecker aus Kanada in dem zirka 200 Zuschauer fassenden Auditorium des Museums. Mit Deupree und Faria reüssierten zwei ästhetische Rationalisten, die sich hervorragend für das Eröffnungskonzert eigneten. Minimalistische Aspekte mit mathematischer Strenge angewandt, die dennoch Raum lassen für den Ausdruck von Spannung, der durch die Technifizierung in der elektronischen beziehungsweise Neuen Musik vielfach verloren geht. 

Ein wunderbares Referenzmodell aus der Kunstgewerbeschule dagegen lieferte am anderen Tag der gefeierte Ambient-Produzent Daniel Lopatin unter dem Künstlernamen Oneohtrix Point Never mit seiner verblendeten Bastelei aus kruden Klängen und Bildern, in der außer einem versiert technisch Gemachten wenig zu finden war. Ganz anders, viel konzentrierter erarbeitete Tim Hecker aus Kanada in vollkommener Dunkelheit mit Clustern aus Orgeltönen ein über vierzigminütiges Obertongewitter von liturgischem Ausmaß. Das war wahrlich ein körperliches Klangerlebnis. 

Überdies traten auf der Hauptbühne zu einem Gipfeltreffen mit Feedbackorgie an, der Portugiese Manuel Mota und Lee Ranaldo, der mit seiner ehemaligen Band Sonic Youth bereits Popgeschichte geschrieben hat. Ranaldo hat mit „Goodbye 20th Century“ von Sonic Youth als erste Rockband ein Album aufgenommen, auf dem ausschließlich Werke von Komponisten Neuer Musik, wie Cage, Reich, Christian Wolff und anderen zu hören sind; er ist mit seinen Klanginstallationen zudem in den wichtigen Museen für Moderne Kunst vertreten. 

Es spielten Aki Onda aus Japan, der Wiener Peter Rehberg mit Stephen O’Malley, letzterer nebenbei Kopf der Gruppe Sunn O))), formierten sich zu dem Projekt KTL, einer sehr lauten Angelegenheit und doch mehr der elektroakustischen Abteilung zuzuordnen, ebenso wie das hervorragend eingespielte Drone-Duo Nadja aus Kanada oder Deaf Center. 

Die Gruppe Deaf Center aus Norwegen spielte eines der erstaunlichsten Konzerte im Casa Das Mudas. Sie schufen im Duett mit Klavier und Stromgitarre oder Cello eine sinnliche Tonalität von unverwelkter Zartheit, allein gebrochen von der eruptiven Kraft eines elektronisch verfremdeten Violoncellos, gleichsam die Utopie einer Filmmusik, von jeglicher Zweckgebundenheit befreit. Wie eine zaghafte Analogie auf das Motto des Festivals: „What does it sound like when volcanoes start to whisper?“

Nachts auf der Hotelterrasse kamen die Musiker wieder zusammen mit den Festivalbesuchern sowie einheimischen Nachtschwärmern zu den sogenannten After-Sessions nach den Konzerten. Auch hier konnte man noch eine Entdeckung machen, wie zum Beispiel bei der Klang- und Tanzimprovisation des Berliner Komponisten Dirk Dresselhaus alias Schneider TM mit der Tänzerin Tomoko Nakasato aus Japan. Ein unvergessliches Erlebnis, ebenso wie die am Tage durchgestandene vierstündige, gemeinsame Wanderung von Künstlern und Festivalgästen. 

Vor allem in diesen Momenten beweist das Festival seine Stärken, abgesehen von der präzisen Organisation der Veranstaltung im Hintergrund. Der familiären Atmosphäre und dem überschaubaren Rahmen sei Dank treffen sich nicht nur Künstler und Besucher im Frühstücksraum, sondern es ergeben sich Kontakte zwischen den zahlreich anwesenden Journalisten, Produzenten und Veranstaltern von Klassik bis Clubmusik.

Und vielleicht kommt demnächst der eine oder andere Klangkunst Aficionado des optimalen Klimas wegen und bloß zum Wandern nach Madeira. Und Luzy, die eigentlich gar keine Bananen mag, geht nächstes Jahr in ein Konzert mit abseitiger Elektronischer Musik. 

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