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Foto: Theater Koblenz (M. Baus?)
Marie Anne Fliegel, Bastiaan Everink, Opernchor, Extrachor, Statisterie. Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz
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„Prinzip Hoffnung“ – Fidelio in Koblenz beeindruckte

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Plädoyer für andere „Fidelio“-Dialoge – Keines der großen Opernhäuser, vielmehr das Theater Koblenz zeigt, wie die Probleme in Beethovens schwieriger Oper zu lösen sind. Neue Interpretationshorizonte ließen Wolf-Dieter Peter staunen.

Speziell die Problematik der Treitschke-Dialoge in Beethovens „Fidelio“ – etwa fremdsprachige Sänger, schlecht gespielte Schlichtheit und unechtes Pathos - haben Dirigenten und Regisseure immer wieder nach anderen Lösungen suchen lassen. Da gibt es die komplette Streichung von Toscanini 1944 bis zu Welser-Möst 2015, vielfache Text-Teil-Fassungen und einen anspruchsvollen neuen Text von Hans Magnus Enzensberger für eine Nikolaus-Lehnhoff-Inszenierung 1974. Ein kommentierender Sprecher – eventuell aus dem Off – beginnt: „Dies ist das Gefängnis. Ist die Bastille nicht gestürmt worden?... Ja, so scheint es. Aber die Gefängnisse sind geblieben.“ Von Anfang an betont er: „Die Oper ist das Reich des Scheins“ - und stellt im Kerker fest: „Der Wächter täuscht sich. Der Gefangenen täuscht sich. Der Gouverneur täuscht sich. Das Grab wird geschaufelt, aber es nicht das Grab des Gefangenen. Die Dunkelheit täuscht.“ Vor der überwältigenden Kraft der Komposition endet der Sprecher anrührend demütig: „Die Oper ist das Reich des Scheins. / Dieser Schein leuchtet. / Herren und Knechte gehen darin unter. / Ihre Wörter und meine gehen unter in der Musik.“ Auch diese poetische Sonderform eines „Fidelio“-Texts hat nicht den Weg ins Repertoire gefunden.

Doch obwohl fast alle Opernhäuser mit dem Sprechen eines deutschen Dialogs Probleme haben, ist auch eine intellektuell, dramaturgisch wie sprachlich faszinierende Lösung von 2007 weitgehend unbeachtet geblieben: die von Jenny Erpenbeck, herausgewachsen aus der glänzenden DDR-Dramaturgie und Assistenzen bei Ruth Berghaus, Heiner Müller und Peter Konwitschny. Sie hat die bisherigen Dialoge durch eine Sprecherin ersetzt: es ist die weißhaarige Witwe Leonore, die sich erinnert und die Ereignisse aus ihrer skeptischen Rückschau zu Musiktheater-Szenen werden lässt, sie kommentierend begleitet und gelegentlich in die Handlung eingreift. Alles beginnt mit Leonores zweimaligem „Freiheit. Freiheit.“ – ohne Ausrufzeichen!, führt zur bitteren Frage „Fängt gleich nach der Freiheit das Privatleben an?“ und zur Feststellung „Unser Sieg hat sich in einen Makel verwandelt!“ Auf Leonores Erinnerungsbühne treten dann Marzelline und Jaquino auf: „Leider hoffen sie zweierlei. Und eine Hoffnung hofft die andere fort. Aber das wissen sie noch nicht. Sie bügelt, er öffnet den Lieferanten die Pforte, und immer so weiter, bis in alle Ewigkeit“ – da ist das kleinbürgerliche Mitläufertum inmitten von Unrecht trauernd und traurig präsent.

Ähnlich gelungene Übergänge zur unangetasteten Musik ließen sich Seiten füllend anführen, etwa: da wird das heikle Melodram in Florestans Kerker von der mit hinab steigenden alten Leonore übernommen und sie kommentiert Pizarros Mordauftritt „Und jetzt tritt der Tod ein. Und sieht aus wie ein ganz normaler Mensch“ – und als sich, nach dem Trompeten-Signal, alle Komposition zur weltübersteigenden Erlösungsutopie erhebt, lässt Erpenbeck ihre alte Leonore parallel ganz hoch greifen und dann verstummen – in die Offenbarung des Johannes mit „Und ich sah einen neuen Himmel / Und eine neue Erden / Denn der erste Himmel und die erste Erde verging / Und das Meer ist nicht mehr.“

An all das hat sich der Koblenzer Intendant Markus Dietze mit seinem Haus gewagt – und gewonnen. Die drohende Reduzierung auf eine allzu private Leonoren-Erzählung umgeht er. Das Publikum sitzt vor leerem Graben und hört dennoch das Orchester stimmen: es sitzt auf der Bühne; Vorhang auf zum Polit-Festakt mit Beifall; Leonore bekommt vom Minister das Verdienstkreuz – und dann dirigiert Enrico Delamboye die „Fidelio“-Ouvertüre als fulminante Festmusik. Mit einer derartigen, teils ironisch gebrochenen Vereinnahmung des zeitlos herausfordernden „Prinzips Hoffnung“ durch einen bestehenden Staat endet auch der Abend.

Wenn sich dazwischen für die aus dem Dunkel von Leonores Erinnerung auftauchenden Szenen (Bravo für die Bühne von Bodo Demelius) der Chor mal von bundesdeutscher Politprominenz zu distinguierten Prüfgremien wandelt, die betroffen die Käfighaltung von Gefangenen begutachtet und zu singend lindern versucht, wenn Pizarro den „Florestan-Skandal“ anscheinend überstanden hat und im Schlussfestakt wieder bei der Prominenz sitzt – dann hatte der Abend die politische Brisanz zurück, die sich sowohl bei DDR-Assoziationen wie bei der Analyse von historischen Diktatur-Revolutionsmustern einstellt – zusätzlich zur mal fesselnden, mal anrührenden menschlichen Ebene im Zusammenspiel von alter Sprech- zu junger Sing-Leonore (Marie Anne Fiegel und Susanne Serfling). Im Reichtum der deutschen Theaterlandschaft wagten sich bislang nur die „Kleinen“, das Theater Hagen 2014/15 und nun Koblenz an die Erpenbeck-Fassung – wo bleiben die großen Häuser?

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