Sanfte Bogenstriche auf dem persischen Hackbrett Santur gehen in Synthesizerklänge über. Alt und Neu amalgamieren sich. Und plötzlich mischen sich Menschenstimmen ins elektronische Schweben und Knistern, zuerst vage und verschwommen, dann immer klarer als Menschenmenge zu erkennen. Es sind Mädchen, Frauen und auch viele Männer, die seit einem halben Jahr im Iran zu hunderttausenden gegen tödliche Übergriffe und das antidemokratische Regime der Ajatollahs und Mullahs demonstrieren. Ausgelöst wurden die landesweit größten Proteste seit der islamischen Revolution 1979 durch den gewaltsamen Tod von Jina Amini, die im September 2022 wenige Tage vor ihrem 23. Geburtstag wegen eines angeblich falsch sitzenden Kopftuches von der Sittenpolizei verhaftet, dann vermutlich geschlagen und tödlich verletzt wurde.
Um machen zu können, was Frauen im Iran verboten ist, lebt Rojin Sharafi seit Jahren in Wien. Ihre immer, härteren Beats und wie Granaten heranfliegenden aggressiven Sounds erscheinen vor dem Hintergrund der aktuellen Proteste in ihrem Heimatland wie eine wütende Anklage. Während in Teheran tausende unbeugsame Menschen „Frau – Leben – Freiheit“ skandieren, bekundet die Klangkünstlerin im Stadtgarten Köln mit ebenso energetischen Mitteln ihren Zorn und ihre Entschlossenheit. Das Crescendo ihrer Performance geht an die Schmerzgrenze und weiter zu ächzenden Schleif- und Keuchgeräuschen, als gälte es der Schlägen, Inhaftierungen und Hinrichtungen zu gedenken. Solidarität mit den Protestierenden und Drangsalierten bekundeten auch die anderen bei „Houbara – Resonanzen Iran“ auftretenden iranischen Künstlerinnen, die allesamt in der Diaspora leben, in Deutschland, Österreich, London, Brüssel.
Das zweitägige Festival präsentierte sechs Konzerte, ein Podiumsgespräch und einen Vortrag. Der Festivaltitel verdankt sich dem Namen eines Zugvogels und spielt auf „Die Konferenz der Vögel“ des Mystikers Fariduddin Attar aus dem 12. Jahrhundert an. Die Geschichte handelt von tausenden Vögeln, die überall auf der Welt nach ihrem idealen König suchen, um schließlich zu erkennen, dass sie selbst diese Könige sind. Im Sinne einer solchen Selbstfindung und Selbstbekräftigung ließen sich auch die Auftritte der iranischen Musikerinnen verstehen, obwohl die künstlerische Leiterin Sophie Emilie Beha kein explizit politisches oder feministisches Festival gestalten wollte. Sehr wohl aber wollte die junge Kuratorin angesichts der gegenwärtigen Situation im Iran von dort stammenden Musikerinnen eine Plattform und dem Kölner Publikum ein möglichst breites Spektrum an improvisierter, komponierter, instrumentaler und elektronischer Musik bieten. Weil vor allem Sängerinnen auftraten, ging es auch um Lyrik, die seit Jahrhunderten in Persien und auch im heutigen Iran einen hohen Stellenwert im Kultur- und Alltagsleben genießt.
Die Möglichkeit zur Gestaltung des gut besuchten Festivals erhielt Sophie Emilie Beha als Stipendiatin des „NICA artist development“ des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Das im Herbst 2019 als Pilotprojekt am Stadtgarten Köln gestartete Programm bietet Musikschaffenden aus NRW im Bereich Jazz und aktuelle Musik maximal drei Jahre lang eine Plattform zu künstlerischer Profilierung und Professionalisierung. Was man beim Veranstalten als erstes lernt, ist kreativ mit begrenzten Finanzmitteln umzugehen. „Houbara“ legte den Fokus daher fast zwangsläufig auf Composer-Performerinnen, auf ganz oder teils improvisierte Musik in kleinen Besetzungen, sowie auf weniger aufwändige Settings mit den weltweit modisch gewordenen Modular-Synthesizern. Beispielsweise erzählte die Sprachperformerin Tara Fatehi zur Techno-affinen Elektronik von Pouya Ehsaei multilinguale Migrationsgeschichten. Nicht vertreten war komponierte neue Musik, etwa der in Köln lebenden Farzia Fallah, Elnaz Seyedi, Mazyar Kashian und anderer, was zusätzliche Interpreten erfordert hätte.
Wie systematisch Frauen im Iran das Musikmachen erschwert oder gänzlich verwehrt wird, schilderte die seit 2017 an der Universität Siegen über „Female Voices of Iran“ promovierende Ethnomusikologin Yalda Yazdani. Sängerinnen dürfen nur vor Frauen auftreten oder in Ensembles mit überwiegend Männern. Aus Konzertmitschnitten werden ihre Stimmen herausgeschnitten und vor Konzerten gibt es Leibesvisitationen, damit niemand unerlaubt die Auftritte von Sängerinnen aufzeichnet. Die Frauen treffen sich daher in Flashmobs draußen in der Natur zu gemeinsamem Singen oder nehmen sich einfach in ihren Privaträumen auf, um dann Videos in soziale Medien hochzuladen, sofern diese nicht wie bereits Facebook und YouTube gesperrt sind. In Persien war das Singen von Frauen immer eine Selbstverständlichkeit, nicht zuletzt bei den Nomadenvölkern und beim geduldigen jahrelangen Knüpfen von Teppichen. In der islamischen Republik ist Singen eine politische Kraft und das Kopftuch ein Instrument und Symbol sexistischer Unterdrückung. In Köln traten daher sämtliche Musikerinnen ohne Kopftuch auf.
Als einzige aus dem Iran angereist war Padideh Naderi. Sie sang mit beweglicher, expressiver Stimme zu traditionellem Santur-Spiel des in Köln lebenden Rouzbeh Motia. Während der Sinn ihrer Balladen dem Großteil des Publikums verborgen blieb, reagierten aus dem Iran stammende Menschen umso begeisterter. Wie wichtig Textverständnis ist, zeigte auch das Konzert der seit Langem in Berlin lebenden Cymin Samawatie. Die Sängerin und Pianistin spricht hervorragend Deutsch und erläuterte den Inhalt der für ihr Trio mit Klarinette und Schlagzeug vertonten Gedichte aus dem Lyrikband „Jene Tage“ der 1967 jung verstorbenen Forugh Farrochsad. Die beliebte persische Dichterin war mit 16 Jahren verheiratet worden, ließ sich mit 19 scheiden und durfte ihren Sohn seitdem nie wieder sehen. Samawatie widmete ihr und allen, „die sich jeden Tag der Ungerechtigkeit entgegenstellen“, ihre Musik. Da konnte man gar nicht anders, als die brutalen Kontraste zwischen ihrem hauchzarten Gesang und schreienden Dissonanzen, kreischenden Überblasungen und harten Schlägen als Protest gegen Misshandlung und Gewalt zu verstehen.