Wie klingt eine Uraufführung? Und was ist an ihr so anders, sagen wir im Gegensatz zu einem „Hit”, nehmen wir mal der Einfachheit halber Bob Dylans’ „All along the watchtower” in der Version von Jimi Hendrix?
Nun, eine derartige Frage stellt sich einer, der genauso alt ist wie ein Festival „Neuer Musik“, wo immer und immer Uraufführungen aufgeführt werden. Wo sich quasi die Neue Musik beständig neu aufführt – soll sich doch nicht so aufführen, die – wo kämen wir denn da hin?
In einen Experimentierbühnenraum – hier wahlweise: Black Box oder Carl -Orff-Saal geheißen; Orff war immerhin ein Mentor und Freund – zeitlebens – von Josef Anton Riedl – der hat die „Klangaktionen“ 1960 einfach so veranstalten müssen, bis heute redet Riedl so, „damit wenigstens einer die neuesten Dinge vorstellt, sonst macht’s ja keiner”. Stimmt.
Seit Zeiten ist es der ungebrochen enthusiastischen Initiative der Rosbauds, Hartmanns, Scherchens, Orffs und Riedls zu danken, dass Stücke für Stehlampe, Radio, Fernsehgerät, Kissen, Notenpulte, Gießkannen, Leiter und anderes aufgeführt werden können (hier John Cages „Theatre Piece“ in einer Neufassung der Arbeitsgemeinschaft Neue Musik des Hertzheimer Gymnasiums Trostberg).
Die Kids hantieren mit sichtlichem Spaß auf der Bühne an einer Musik, die immer wieder neu ist, weil die scheinbar bekannten Konnotationen aufgebrochen, mitunter aufgehoben werden. Auf diese Weise ist Neue Musik immer wieder eine Herausforderung und jedes Stück eine jeweils eigene Uraufführung.
Und: Wir Rezipienten bringen ja immer eigene Konnotationen, Erwartungen und Assoziationen mit ins Konzert: So ist es durchaus wunderlich, den „Songlines“ des Nikolaus Brass für Kontrabass und Violine zu folgen, wenn man kurz zuvor die gleichnamige CD eines US-amerikanischen Slidegitarristen namens Derek Trucks gehört hat.
So gibt es also an einem Abend wenigstens zwei ambitiöse Projekte, die „Songlines“-liederliche (Lebens-)Linien propagieren. Hier räsonnieren Frank Reinecke (Kontrabass) und Daniel Giglberger (Violine) quasi über das ewig klingende, ins endliche Verderben führende Melisma des zarten Bogenstrichs, „No Sound is Innocent“ (Eddie Prévost). Aber gerade das Räsonnement ist es, was Neue Musik immer und immer wieder notwendig und aufregend macht, Gedankensplitter, die – neu zusammengesetzt, mitunter einen Neuen, bislang unbeachteten Sinn ergeben, ja vielleicht sogar Notwendigkeiten offerieren, Dinge, wie gehört, neu zu sehen.
Dass dabei traditionelle Musizierhaltungen wesentlich dazu beitragen, sich immer wieder auf Bewährtes Terrain, auf bekannte „songlines“ zu beziehen, machte Yatsuhashi Kengyo gleich am ersten Abend sehr deutlich: Kengyo spielte ein traditionell japanische Stück aus dem siebzehnten Jahrhundert auf der Koto, einer Wölbbrettzither, ein Stück alte Musik also, und doch im Kontext neu und mit aufgeworfenen Fragen.
Gewiss, vieles wirkt unfertig, quasi als Werkstattnotiz und hat den Namen „Komposition“ nicht recht verdient – zunächst. Dann aber, beim Versuch, die verwendeten Parameter ähnlich konzis zu verdichten wie die südkoreanische Komponistin Unsuk Chin in ihrem Stück für Schlagwerk und Alltagsgegenstände („Allegro ma non troppo“ 2001), gerät man schnell in Beweisnot: Stefan Blum, der dieses Stück mit dem Witz eines circensisch agierenden Magiers realisierte, scheiterte an der stolz annoncierten Uraufführung Josef Anton Riedls neuerlicher Arbeit mit dem Titel: „Anspielung II“ für Schlagzeug solo (2004/05): Wenn vier Schränke, etliche Gyrosspieße, Autoreifen und allerlei andere absonderliche Geräuscherzeuger weder sinnenfreundlich zu klingen bereit sind, noch in der vorgeschriebenen Anordnung zu bedienen sind, dann kommt Neue Musik spätestens hier an ihr Ende: Sie ist unhörbar, weil unspielbar, und damit – a priori zum Gestus geronnen.
Josef Anton Riedl stellt auf diese Weise seit 1960 (!) im Rahmen der „Klangaktionen“ Fragen, die auf anderen Podien ebenso gestellt werden – erst mit einem zunehmend distanzierten Blick auf die Errungenschaften, die in Donaueschingen (Donaueschinger Musiktage seit 1921), Darmstadt oder München (musica viva seit 1945) präsentiert werden konnten, lässt sich eine vage Ahnung gewinnen vom Wert derartiger „Klangaktionen“ – der Jazzer schnippt und raunt: „keep on swinging“