Wohl nicht unzufällig parallel zu den 66. Internationalen Filmfestspielen Berlin erfolgte die jüngste Premiere an der Staatsoper: zur derzeitigen Biennale passend, erweist sich die Produktion der Kammeroper von Hèctor Parra als eine quadrophone Rauminstallation mit vorproduzierter Elektronik, vorproduzierten Filmen und Live-Videos plus elektroakustisch verstärktem Live-Sologesang.
Das 2007 uraufgeführte Musiktheater „Zangezi“ basiert auf der gleichnamigen „Übererzählung“ des russischen Futuristen Velimir Chlebnikov, der darin im Jahre 1922 seine Utopie in einer zunehmend technisierten Welt entworfen hat. Bei Chlebnikov predigt der Prophet Zangezi auf einem Berg. In der Inszenierung von Janne Nora Kummer sind es vier Astronauten, die bei ihrem Forschungsprojekt auf einem fernen Planeten im All per Video Nachrichten an die Erde senden. Stefan Britze hat dafür einen das Publikum spiegelnden (und damit die Inszenierung von Oscar Strasnoys „Geschichte“ im September vergangenen Jahres am selben Ort zitierenden) Berg aus Kuben gebaut, mit Pflanzen, die in Glasvitrinen zu Ausstellungsstücken geworden sind. Kostümbildnerin Elisabeth Wendt hat sich die wenig futuristischen, vier orangefarbenen Overall-Outfits und zugehörigen Gesichtsschutzkapseln von drei auf dem Programmzettel namentlich genannten Firmen sponsern lassen. Die Videos von Stini Röhrs nutzen Bildmaterial vom Planeten Mars, welches vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt bereitgestellt wurde.
Vor laufender Kamera geben die Astronauten live ihre Statements ab. Zu ihren Nachrichten an die Erde gehört ein Referat über Kasimir Malewitschs „Schwarzes Quadrat“. In der Werkstatt werden diese Botschaften auf einen Projektionskubus übertragen. Als dieser seinen Dienst versagt, bemüht sich eine am Seil hängende Darstellerin, mit Akkuschrauber schwebend, den Schaden zu beheben, aber es bleibt bei Informationsschnipseln, Elektronik-Trümmern und Testbild. Strobo-Blitze und Projektionen koordinieren synchron mit der Elektronik, getreu dem Statement des katalanischen Komponisten, als einer „Obsession der vierten Dimension“.
Bereits wenn der Zuschauer den in Paraffin eingenebelten, diesmal weiß gekachelten Raum der Werkstatt des Schiller-Theaters betritt, empfangen ihn basslastig dumpfe Klänge, wie sie seit dem „Schweigen der Lämmer“ als Psychoeffekt im Film üblich sind.
Im Einverständnis mit dem Komponisten, der die Endproben an der Staatsoper begleitet hat, wurden mit den Schauspielern Maike Schmidt, Lisa Schützenberger, Wieland Schönfelder und Jan Koslowski neue Texte erarbeitet. Auch der Komponist selbst hat für die Berliner Produktion seine Partitur überarbeitet und neue musikalische Teile eingefügt.
Parras elektronische Komposition bemüht sich um eine Verknüpfung Kunst und Wissenschaft: in seine Partitur hat er neben schlagzeugartigen Klängen der Metallindustrie, Stimmen von Menschen und Vögeln sowie Popsongs verarbeitet. Stark verändert, gebrochen und resynthetisiert, sind die zahllosen Exzerpte für den Hörer kaum mehr nachvollziehbar. Quadrophon zugespielt, erzeugen sie den angestrebten „Science-Fiction-Retro-Sound“. Plastisch im Gedächtnis des Hörers bleiben das Aufprallen von Asteroiden und quadrophones Glockengebimmel.
Höhepunkte bieten drei Szenen der Live-Sängerin, die Passagen aus Chlebnikovs Originaltext singt, darunter ein melancholisches Schmetterlingsgedicht und ein „Lied in Sternensprache“. Dabei wird die großartige Sopranistin Sónia Grané – zunächst im Reifrock, dann im rosa Tutu und am Ende im schwarzen Ballettdress kostümiert – leider zu laut verstärkt. Nach all dem technischen Aufwand ist der eindrucksvollste Teil des 75-minütigen Abends der letzte, als Silhouette vor dem Gerippe im Glassarg a cappella ausgeführte Gesang.
Dankbarer, nicht übermäßig emphatischer Applaus für die Solistin, die Schauspieler, die Vorstände und den anwesenden Komponisten.
Weitere Aufführungen: 14., 18., 19., 21., 23. Februar 2016.