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Michael Mendl (Schauspieler). Foto: Monika Rittershaus.
Michael Mendl (Schauspieler). Foto: Monika Rittershaus.
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Radikales Wahrnehmungsspektakel – „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in Frankfurt

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Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ ist die vielleicht einzige zeitgenössische Oper, der seit der Uraufführung 1997 in Hamburg sieben weitere Aufführungen folgten, zuletzt 2013 bei der Ruhr-Triennale. Und das bei einem Werk, das Narrativität ebenso verweigert wie Bilder. Zwar heißt es im Untertitel „Musik mit Bildern“, was der heute achtzigjährige Komponist aber in einem sozusagen zweiten Untertitel „Eine musikalische Handlung“ schon wieder aufhebt: denn die Handlung ist die Musik selbst.

Es gibt keinen Unterschied zwischen Klang und Geräusch mehr, mit einer bestürzenden immanent musikalischen Logik entwickeln sich Strukturen von großer Stille und überwältigender Kraft, jedes Geräusch ist Klang und jeder Klang Geräusch. Die Musik droht, sie klagt, sie erfriert zu Eis, sie hat Angst, sie verstummt, sie wehrt sich, sie „repräsentiert“ wirklich die Personen und Zustände, von denen sie spricht. Auch gesungene Sprache gibt es nicht, nur unterschiedlich verfremdete Sprachlosigkeit.

Kurz vor seinem Erfrierungstod zündet sich das Mädchen in Hans Christian Andersens 1854 entstandenem Märchen die Hölzchen an, die es eigentlich verkaufen soll. Eine gesellschaftspolitische Parabel, die Lachenmann ergänzt durch einen Brief von Gudrun Ensslin – die in seiner Kindheit seine Nachbarin war – und die wie das Mädchen den Gehorsam verweigert. Wird schon mit dieser Assoziation eine verharmlosende Auffassung des Märchens vermieden, so macht Lachenmann den politischen Aspekt mit einem weiteren Text zu einer regelrechten Klammer: „Verlangen nach Erkenntnis“ von Leonardo da Vinci“, der die Naturgewalten mit der Unruhe des Menschen vergleicht: angesichts einer Höhle hat er sowohl Furcht als auch Verlangen.

Auch fast zwanzig Jahre nach der Uraufführung ist der Anspruch des Werkes, das den Opernbegriff so radikal auf den Kopf stellt, für die Musiker eine überdimensionale und für den Regisseur eine nahezu unlösbare Herausforderung. Nun hat die Frankfurter Oper das Werk in einer zwiespältig angenommenen Premiere hausgebracht. Es ist von einer überwältigenden musikalischen Wiedergabe durch das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Erik Nielsen zu berichten: das „radikale Wahrnehmungsspektakel“ (Lachenmann) wurde einmal Wirklichkeit durch die kraftvolle und enorm durchsichtige Wiedergabe, zum anderen durch die Positionierung des zerteilten Orchesters und Chor. Ein Teil saß oberhalb der – nicht vorhandenen – Bühne, andere Gruppen saßen im ersten und zweiten Rang. Beim Hören der Musik Lachenmanns ist man immer in Gefahr, dessen großartige theoretische Reflexionen nur allzubereit in sie hineinzuhören. Aber diese Musik provoziert alle „Sensibilität gegenüber dem Zerbrechlichen“ mit unerhörter Konsequenz bis zum Höhepunkt: dem Einsatz der japanischen Mundorgel „Sho“ als Träger einer Utopie zu dem Bild: „Sie waren bei Gott“. Auch die beiden überragenden Sängerinnen Christine Graham  und Yuko Kakuta zeigen ja keine Textvertonung, sondern sind im Orchesterapparat die Körper des todgeweihten Mädchens.

Und der Regisseur? Schon draußen empfängt einen eine aufgeblasene Mädchenpuppe mit Streichhölzern, quasi vorwurfsvoll inmitten von Bettlern. Drinnen im Foyer geht es weiter: Sprecher mit Megaphonen teilen uns leise den Text mit. Benedikt von Peter, ein Meister der Darstellung von verborgenen Psychowahrheiten, legt über die Nichtgeschichte, die eben nur musikalisch mitgeteilten Bilder, eine durchgehende Geschichte: ein alter Mann nähert sich seinem Meerschweinchen und verbringt zeitlupenartig in zärtlichster Einsamkeit zwei Stunden mit ihm. Michael Mendl zeigt erschütternd diese andere Geschichte der Ausgegrenztheit, die ihrerseits eine „radikale Wahrnehmung“ provoziert, – mit einem vier Wochen lang trainierten Meerschweinchen. Auf einem Leuchtpodest findet das statt und wird übertragen auf Video. Dazu werden die Texte von Andersen, Ensslin und da Vinci übergroß in den Zuschauerraum projiziert und zwar so verzerrt, dass man sie erkennt, aber nicht durchgehend lesen kann: Begriffe wie „Kälte“ „Eis“, „Angst“, „Pantoffeln“, „nackte Füsse“ ragen heraus und werden zu eindringlichen Mahnungen einer noch stärkeren Aktualität als in der Uraufführung. Buhs und Ovationen hielten sich zunächst die Waage, am Ende dieses überwältigenden Abends überwog der Beifall für eine der bedeutendsten Opern des vergangenen Jahrhunderts. 

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