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Soundwalk an der Oper. Foto: Thomas Aurin
Soundwalk an der Oper. Foto: Thomas Aurin
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Ratlosigkeit und Tortenschlacht – „Das große Buh“, ein Sound-Walk an der Deutschen Oper Berlin

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Sound-Walks mit Kopfhörern und abrufbaren Texten für Kinder und/oder Erwachsene gehören zum Alltag der Museen und sind oft durchaus innovativ und gelungen, wie etwa in der derzeitigen Ai Weiwei Ausstellung im Berliner Martin Gropius Bau. In der „Oper“ ist „Museum“ ein Schimpfwort, der Vergleich kann fast nur misslingen. Zumindest bei einem Sound-Walk als Neuinszenierung am Ort der Klänge der Rahmen besonders hoch gehängt werden muss – aber dies ist nicht der Fall beim Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin, der ersten in dieser Saison als rundum misslungen zu beurteilenden Produktion.

Witzchen und Mätzchen über Kopfhörer werden als Test deklariert, dann aber noch zweimal wiederholt als Überbrückung des Weges von der Kassenhalle bis zur Straßenseite gegenüber. Hier beginnt um 19:12 Uhr der qualvoll auf Fünfviertelstunden gedehnte Abend mit einem Gedenken an die Proteste anlässlich des Schah-Besuchs in West-Berlins Opernhaus. Dabei wurden Wasserwerfer eingesetzt und der Student Benno Ohnesorg wurde von einem Polizisten – wie erst spät bekannt wurde, einem Stasi-Spitzel der SED – erschossen, um weitere gesellschaftliche Proteste und Unruhen im Westen zu initiieren. Dass keiner der umliegenden Plätze den Namen „Benno Ohnesorg-Platz“ trägt, darauf verweist der politisch engagierte Kommentar per Kopfhörer, aber was Regisseurin Dorothea Schröder dazu eingefallen ist, bleibt dürftig. Wenn die Besucher aus der U-Bahn-Straßenunterführung wieder zur Opernseite hochsteigen, werden Protestzettel verteilt, Collagen von Zeitungsartikeln zu den Unruhen rund um die Oper.

Anschließend werden die Zuschauer aufgefordert, ihre Augen zu schließen, worauf einige der knapp 20 mitwirkenden Schüler und Statisten den Zuschauern Pflastersteine oder Plastiksektgläser in die Hände drücken. Dies zielt wohl in Richtung von Brechts „Spaltung des Publikums“, bewirkt aber nur Ratlosigkeit bei den Zuschauern. Als Erkenntnisprozess werden sie dann ein bisschen nass gespritzt. Auch „Sahne“ von einer Tortenschlacht landet auf der Kleidung einiger Besucher – und die Verwaltung der Deutschen Oper Berlin mag zusehen, unter welcher Haushaltsstelle sie die Reinigungs-Rechnungen dieser betroffenen Zuschauer verbuchen kann.

Der Weg zum Parkhaus neben der Deutschen Oper soll als Zeitreise rückwärts erscheinen: eine Litfasssäule verweist auf die Epoche der VW-Käfer und auf Opernskandale jener Zeit. Eine tote Taube liegt als Requisite auf dem Boden, und auch an den Hauswänden des Gebäudes klebt Einiges, etwa eine Bananenschale. Auf den vordem per Band gescholtenen Supermarkt Kaiser’s scheinen überreife Tomaten in einer übervollen Mülltonne zu verweisen – aber keiner der Besucher in der zweiten Aufführung fühlt sich motiviert, in die Vollen zu greifen, gar eine der Tomaten zu werfen.

Esoterisch wird es, wenn es nach mehreren Ruhepunkten im Parkhaus endlich in die Deutsche Oper selbst geht: im Magazin erfolgt ein Bericht über die Möglichkeiten, an diesem Ort Kontakt mit im 2. Weltkrieg verstorbenen Verwandten aufzunehmen. Dies habe hier so lange funktioniert, bis eine wissenschaftliche Überprüfung eingeleitet wurde. Spätestens an diesem Punkt der Inszenierung hätte man Opernstimmen von Solisten jener Zeit erklingen lassen können; aber Opernzitate beschränkten sich an diesem Abend auf den Anfang des „Tristan“-Vorspiels und auf eine elektronische Version der Ouvertüre zur „Zauberflöte“. Dramaturg Curt A. Roesler ist auf Band mit Skandal-Berichten eigener Anschauung zu vernehmen: so über die Premiere der „Walküre“, als sich in der Inszenierung Götz Friedrichs die Walküren mit nackten toten Helden zu verlustieren schienen („Tumult um ein olympisches Bordell“), sowie über jenen Moment, als in Hans Neuenfels’ Inszenierung von „Macht des Schicksals“ ein Papp-Panzer gesegnet wurde. Manche Randaktion, etwa drei Jugendliche, die den Ruf „Wir wollen Parsifal!“ skandieren, bleiben ohne die Lektüre des Programmheftes unverständlich; so gab es 1956, bei der Premiere von Henzes „König Hirsch“ im Theater des Westens, protestierende Sprechchöre „Wir wollen ‚Lohengrin’!“.

Wer beim „Sound-Walk“ im Programm liest und nicht auf den Boden sieht, latscht auf den schwarzen Stufen zum 2. Rang des Opernhauses prompt durch eine Bühnenblut-Lache. Die nimmt Bezug auf die Aktion „Banker klatschen“, 1988 beim IWF-Gipfel, wofür sich die Protestler 40 Tonnen Schweineblut und Gedärme aus dem Schlachthaus geholt hatten. Den Erinnerungsbericht dazu liefert ein sich zunächst als jugendlicher Führer durchs Haus ausgebender Schauspieler, Friedrich Witte live. Am Ende schlüpft der in die Rolle eines im Jahre 1960 geborenen Besuchers, der stockend und unsicher sein Recht aufs Buhrufen bekundet. Aber das Fazit am Ende dieses abendlichen Wechselbades unterschiedlicher Temperaturen in den baulichen Untiefen und Höhen des Bornemann-Baus, Buhrufe seien ein Indikator dafür, dass eine Opernaufführung „die Leute nicht kalt lasse“, war denn doch allzu dürftig.

So mischten sich in den braven Schlussapplaus durchaus nicht persiflierend gemeinte Buhrufe.

Weitere Aufführungen: 13., 14., 15., 16. Juni 2014.

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