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"Refugees Out!" prangt in großen Buchstaben über dem bunt gekleideten mutlos daherziehenden Ensemble.

Sebastian Kohlhepp (Manolios), Matthäus Schmidlechner (Michelis), Matteo Ivan Rašić (Andonis), Helena Rasker. Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Foto: SF/Monika Rittershaus

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„Refugees Out!“ - Martinůs „The Greek Passion“ ist der emotionale Sommer-Hit der Salzburger Festspiele

Vorspann / Teaser

Die Salzburger Festspielleitung gibt hin und wieder Raum für ein politisch ambitioniertes Musiktheater des 20. Jahrhunderts – zuletzt für Nonos „Intolleranza 1960“. Dieses Jahr ist Bohuslav Martinůs Oper „Griechische Passion“ auf diese Position gerückt. In der Felsenreitschule geriet die Premiere am 13. August zu einem berauschenden Erfolg. Charles Workman, Sara Jakubiak und Sebastian Kohlhepp triumphierten auch in der zweiten Vorstellung am 18. August an der Spitze eines starken Ensembles. Die aus mährischen Volksmusikmotiven und byzantinischen Sakralzitaten verdichtete und mit Wohlklang gesättigte Partitur beeindruckte. Das deutlich und effektvoll dargestellte Flüchtlingsdrama emotionalisierte.

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Die Salzburger Festspiele schrien, nach den bisher durch die Bank kritisch hinterfragten Erfolgen, nach einem wirklich großen Musiktheater-Hit. Sie erhielten ihn mit der letzten szenischen Premiere des Sommers 2023: Die „Griechische Passion“ des polystilistischen Komponisten und Flüchtlings Bohuslav Martinů. Nach ersten Plänen mit „Alexis Sorbas“ vertonte er den Roman „Der wiedergekreuzigte Christus“ des griechischen Romanciers Nikos Kazantzakis. Das Ergebnis klingt weniger kompliziert als es komponiert ist. Die Salzburger Aufführung folgte überwiegend der zweiten, 1961 in Zürich uraufgeführten Fassung. Martinů wollte ein geerdetes Sujet, dessen für London geplante Uraufführung sich allerdings zerschlug. Deshalb ist Englisch und nicht Tschechisch die Originalsprache seiner vieraktigen Oper. Die Erstfassung hatte der Martinů-Forscher Aleš Březina aus Autograph-Partikeln, die der Komponist im Freundeskreis verschenkt hatte, rekonstruiert. Aufgeführt wurde diese Fassung erst bei den Bregenzer Festspielen 1999.

Hintergrund der Vorlage ist die Flüchtlingskatastrophe während des Griechisch-Türkischen-Krieges, ein Nachbeben des ersten Weltkrieges. Martinů hatte allerdings auf Kazantzakis’ Konflikt-Schärfen durch Verzicht auf türkische Figuren und Polarisierungen zwischen kommunistischen Theorien und archaisch geprägtem Landanspruch verzichtet. Für die gewaltigen Choraufzüge der satten Einwohnerschaft des Dorfes Lycovrissi an der kleinasiatischen Küste, die sich mit Vorbereitungen auf ihr tradiertes Passionsspiel beschäftigen und in Konfrontationen mit den Flüchtenden aus der eigenen Volksgemeinschaft geraten, ist die breite Riesenfläche der Felsenreitschule sogar dann imposant, wenn die Regie – auch bedingt durch die holzschnittartige Dramaturgie des Textbuchs und Martinůs opulente Sakralgestik – vereinfachend wirkt. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (einstudiert von Huw Rhys James) und der Kinderchor (einstudiert von Wolfgang Götz) leisten in den zwei pausenlosen Stunden auf den Fläche und auf der oberen Galerie der von Lizzie Clachan mit blauen Wänden abgeschirmten Bogengängen Großartiges.

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Eine Gruppe in verschiedenen Weißtönen gekleidet, trägt ein leuchtendes Kreuz vor sich her.

Mit zu weißer Weste: Ladas (Robert Dölle), Priester Grigoris (Gábor Bretz), Michelis (Matthäus Schmidlechner). Foto: SF/Monika Rittershaus

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Die sesshaft Wohlständigen tragen weiß in sauberen Schattierungen, die Flüchtenden und ihre wenigen Habseligkeiten sind in viel Orange und Bunten Farben gehalten (Kostüme: Mel Page). Später sind die sich mit den Flüchtenden solidarisierenden Passionsspiel-Darstellenden farblich dazwischen – wie Manolios-Jesus in lila Latzhose und offenen schulterlangen Haaren.

Die Opernhandlung ist auf voller Gegenwartshöhe

Denn die Einwohner Lycovrissi spalten sich zwischen schenkender Solidarität zu den Flüchtlingen und einer kalten „Strafe-Gottes“-Ethik. In Analogie zur Leidensgeschichte Christi ist die Oper ein auf den zweiten Blick ziemlich subtiler Moraldiskurs über aktives Mitleid mit der Faust contra Gleichgültigkeit, tätige Empathie und die Erkenntnis, das das Wissen um die eigene Fehlbarkeit zu einem Leben in Christus gehören. Unter Maxime Pascal Weil spielen die Wiener Philharmoniker Martinůs süffige Bynzantinismen im Wechsel mit Akkordeon-Solo und einem schrägen „Money makes the World Go Round“-Sound, als handle es sich um die Synthese von Bruckner und Webber. Diese Opulenz und das Spiel des insgesamt packend stimmigen Ensembles gehen an Herz und Nieren. Am Ende prangen die Riesenlettern „Refugees Out!“ – gepinselt von sportiv schwebenden Statisten – auf der Hinterwand: Licht aus, nichts gelöst, Riesenjubel ohne Betroffenheitssekunde nach Mord und Vertreibung.

Allzu weit aus dem Fenster lehnen wollte sich der österreichische Simon Stone im eigenen Land diesmal nicht. Seine Spezialität sind Schauplatzverschiebungen der von ihm inszenierten Werke an den Aufführungsort, wenn zum Beispiel Cherubinis Medea ihre Kinder mitsamt Luxusschlitten an einer Tanke im Salzburger Land niederbrennt. Eine „Österreichische Passion“ hätte bei Martinů und Kazantzakis ideal gepasst, sind doch die Tiroler Passionsspielorte Erl und Thiersee nur knapp 100 km von Salzburg entfernt und strömt ein Teil des Festspielpublikums regelmäßig vom Inn zur Salzach. Aber Stone belässt den Plot, ein lokalpolitisch brisantes „Kreuz mit der Kirche“, lieber im Allgemeinen unter einem weißen Kreuz und parabelhaft. Dazu passt, dass man die Eindeutschung des Wortes „Donkeyfucker“ auch in den Übertiteln lieber unterlässt. Solches Wattedenken stützt die Melos-Power der Musik und hielt Mitleidsregungen in sicherem Abstand zu ‚echter‘ Betroffenheit.

Der Star im Ensemble ist der sich von Habgier zu Mitleid läuternde Händler Yannakos: Charles Workman singt, spielt und artikuliert auf Messers Schneide und mit humanem Tiefgang. Sebastian Kohlhepp als Monolios-Christus nimmt im großen Solo des vierten Aktes die stimmliche Hürde vom lyrischen Tenor zum jugendlichen Heldentenor vollauf festspielwürdig. Große Sympathie sät und erntet Sara Jakubiak als männererfahrene Katerina, die sich läutert wie die legendenverbrämte Sünderin Maria Magdalena. Für jede Partie gibt es die passgenaue Besetzung, die Diktion der englischen Originalsprache könnte für die Folgevorstellungen etwas besser werden. Das fällt bei Stones klar choreographierten Chor-Architekturen aber kaum ins Gewicht. Gábor Bretz als Priester Grigoris verbindet latente Demagogie und Charisma, Łukasz Goliński als Priester Fotis ist das sympathetisch ideale Gegengewicht. Christina Gansch gibt als Manolios’ Ex-Verlobte Lenio wie Aljoscha Lennert als ihr Bräutigam Nikolio eine Figur von rustikaler Gesundheit. Alejandro Baliñas Vieites (Kostandis) und Teona Todua (Despinio) bestätigen, dass das Salzburger Young Singers Project große Talente fördert.

Mit vielen Schön- und einigen Glattheiten erweist sich „The Greek Passion“ als passgenaues musikalisches Volksdrama für das 21. Jahrhundert, auch durch seines dualistische Struktur und melodische Eingängigkeit. Das richtige Stück also zur richtigen Festspiel-Zeit.

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