Die Rekonstruktion der unterschiedlichen Glückserwartungen und eines Films zu ihnen: Der alte Charme einer Berliner Revue von Felix Joachimson und Mischa Spoliansky feiert am Nationaltheater Mannheim Auferstehung. Das Sonderkommando Himmelfahrt unter Einsatzleiter Jan Dvořák bringt Bewegung in eine Frage, die für die meisten längst gelöst schien.
„Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt” – das ist geflügeltes Wort geworden. Und eine gestiefelte Musik, die uns mit sieben Katerpfoten nachsetzt, nachdem sie sich mit Kätzchenschnurren eingeschmeichelt und angeschmiegt hat. Die Ohrwürmer der Szenen- und Musikfolge „Wie werde ich reich und glücklich“ begleiten noch lange. Nicht nur auf dem Nachhauseweg in der Nacht, sondern auch noch am Tag danach. „Ich möchte so gerne glücklich sein“ – jaja, undsoweiter.
Das Trio Jan Dvořák, Thomas Fiedler und Julia Warnemünde, das unter dem KünstlerInnennamen Kommando Himmelfahrt operiert, hat sich einer der virtuosen und bunttrubelnden Kabarett-Revuen der späten 20er-Jahre angenommen und auf rundweg überzeugende Weise rekonstruiert, reanimiert, wieder brisant gemacht. Bis hin zu der bei der Uraufführung am 15. Juni 1930 in der Komödie am Kurfürstendamm aufgeworfenen Frage, die Otto Wallburg als von Krisenängsten geplagter Autogroßhändler stellt: „Wie werde ich Antisemit?“
Ein ironisches Lehrstück
Der erste Blick lässt ein Vollbad in Nostalgie befürchten. Doch es kommt ein bisschen anders, als man argwöhnt. Voll Gerümpel wartet die Bühne mit fragmentierten Stummfilm-Kulissen und Mobiliar der Zwischenkriegszeit. Davor das Orchester im angehobenen Graben bestens sichtbar. Hinter den in die Höhe stechenden Geigenbögen wartet ein Trichtergrammophon, ein Emaille-Waschbecken und das Tischchen mit der Kerze; hinter den Posaunen der Schminktisch und über der Harfe ein Kronleuchter. Matthias Bernhold als Philosoph, Lebensratgeberautor und Regisseur Dr. Pausback begrüßt das Auditorium, holt in seiner kurzen Erörterung der Glücksfrage bei Seneca aus und berichtet von einem alten Film, an den er sich zu erinnern glaubt. Da aber nirgendwo eine Kopie der Verfilmung von „Wie werde ich reich und glücklich“ aufzutreiben ist, wird er sich anschicken, diesen Film zu rekonstruieren. Gesagt, getan. Fagott und Horn beginnen zu marschieren – und höchst kurzweilig setzt sich „ein Kursus in zehn Abteilungen“ in Gang.
Dem in einer Dachkemenate bei seinem Liebchen Lis vor sich hin und hinter seiner Zahlungsunfähigkeit her lebenden Kibis kommt eine Broschüre von C.M. Pausback unter die Finger – ein Leitfaden für den raschen Weg zu Reichtum und Glück. Umgehend berücksichtigt der Langzeitarbeitslose die für beide großen Lebensziele geltende Grundmaxime (die sich der zentralen Egoismus-Formel von Brecht/Weills „Mahagonny“ diametral entgegenstellt): „Sei zu jedem liebenswürdig,/ Keinen stoß zurück,/ Dann verhilft Dir gern jeder/ Zu Reichtum und zu Glück“. Dieser verheißungsvolle Vierzeiler geht schon deutlich in Richtung jener Kampagne „Seid nett zueinander", die Axel Springer 1948 für sein Abendblatt ins Leben rief, um in der Zeit der „Ellenbogenexistenz“ Akzeptanz für den großen gesellschaftlichen Quietismus einzuwerben (die Kampagne wurde von der größten deutschen Boulevard-Zeitung Ende der 60er-Jahre als Reaktion auf die Studentenrebellion wieder aufgelegt und soll jetzt wohl nochmals reaktiviert werden).
Durchaus pointiert die von Dvořák & Co. initiierte Text-Bearbeitung immer wieder hübsche Ausfallschritte gegen das Wohlstandsgefälle und das Skandalon des steuerbegünstigten Superreichtums, gegen die bürgerliche Wohltätigkeit (mitsamt deren Suppenküchen) und überhaupt gegen die kapitalistischen Glücksverheißungen. Doch kommt das allemal eher überraschend und beiläufig daher – nur ein ganz bisschen philosophisch und weltanschauungskritisch grundiert. Vordergründig geht es darum, dass die Szenen des Lebenswandels von Kibis zu Herrn Kiebitz in Nahaufnahmen gefilmt und die Resultate zeitgleich auf die große Leinwand im Hintergrund der Bühne projiziert werden: Wie er sich bei einem teuren Schneider umsieht und in einen dort wartenden Anzug schlüpft, prompt mit Direktor Köberlein verwechselt, deshalb einem Auto-Tycoon vorgestellt und in dessen Luxus-Salon mit einem teuren Sechszylinder bedacht wird. Das ergibt eine heitere Hochstapler-Story, immer wieder von Spolianskys kessen Songs pointiert. Der aus Mannheim stammende Bariton Joachim Goltz zeigt den Parvenü mit einer gewissen stoischen Indolenz und erfüllt gerade auch die peinlichen Situationen mit prallem Leben. Der konsternierten Lis verordnet er eine Beziehungspause.
Das Schicksal hat es so gefügt, dass auch die Tochter und Auto-Konzernerbin Marie zufällig Dr. Pausbacks Broschüre zur Kenntnis nimmt und beschließt, ihr Leben zu ändern. Zickig bis zum Gehtnichtmehr trieb sie sich im Galerien-Milieu herum und verschmähte die Avancen des Geschäftspartners ihres Vaters. Indem sie aber auf Kibis trifft – welch Wunder der Emanzipation! – normalisiert sie sich schlagartig. Die höhere Tochter mit dem gelernten Lächeln – die energische Nikola Hillebrand mit quinquilierender Stimme – verliebt sich in zehneinhalb Minuten und heiratet am nächsten Tag. Doch wird sie dadurch nicht glücklich. Der Befreiungsschlag erweist sich als eklatanter Fehlgriff. Die beherzt eingeleitete Scheidung bringt fürs Happy End Kibis wieder an die Seite von Lis und Marie in die Arme des zuvor so lange hingehaltenen Verehrers. Die soziale und ökonomische Ordnung ist wieder im Lot: „Es kommt alles, wie es kommt, wie es muss“, hämmert der Refrain.
Bei einem Einsprengsel aus dem Baukasten des partizipativen Theaters erhalten Kibis und die resolute Mezzosopranistin Maria Markina beste Gelegenheit zu filmreifen Beziehungsdiskussionen vor und in der rechten Eingangstür vor Reihe 7. Der joviale Bassist Stefan Sevenich zeigt Maries Vater als einen vom Berufsleben allzu sehr in Anspruch genommenen, ziemlich cholerischen Konzernherrn, aber letztlich doch herzensguten Vater. Die darstellerische Spitzenglanzleistung liefert Merten Schroedter als Abendspielleiter Müller. Er muss als das „Mädchen das für die Reihenfolge verantwortlich ist“ einspringen, als Dienstmädchen bei Familie Regen und einem halben Dutzend weiterer Rollen – bravourös.
Glück muss man haben
Obwohl das originale Notenmaterial in der Berliner Akademie der Künste verfügbar ist, hat es das Mannheimer Produktionsteam vorgezogen, auch neu zu orchestrieren. Das kommt dem eleganten und inspirierten Sound des Nationaltheaterorchesters zugute. Matthew Toogood hat die musikalischen Fäden fest in der Hand und ermöglicht doch zugleich wünschenswerte Leichtigkeit. Ein erfreulicher Nebeneffekt der über mehr als drei Stunden kurzweiligen Theaterinszenierung ist, dass es nun einen Musikfilm mit zwei Dutzend weithin hochkarätigen Nummern von Mischa Spoliansky gibt. Obwohl es in den letzten Jahren wieder ruhig um diesen Mitbegründer der Berliner Revue der 20er-Jahre wurde, gilt er in Fachkreisen unverändert als eine der illustersten Talente der leichten musikalischen Muse in Deutschland.
Spoliansky wusste, dass Glück eines der fragilsten Werte ist. „Ich bin eigentlich immer ein Glückspilz gewesen“, sagte er, als ich ihn im Mai 1981 in England zum ersten Mal interviewte. „Ich bin ja 1933 aus Berlin weggekommen – freilich wurde ich sehr schwermütig, das ganze Jahr; weil ich ja gesehen habe, was passiert. Das war nicht sehr schön. Ich bin nach Österreich durchgeschlupft. Und dann bin ich von den Engländern angefordert worden, weil in London die englische Version von Heute Nacht oder nie gemacht werden sollte. Das ist dann ein Weltschlager geworden, in viele Sprachen übersetzt, sogar ins Chinesische! Deswegen sag ich ja, der Mensch muss Glück haben, denn wenn man kein Glück hat, klappt ja nichts.“ Das Problem ist lediglich, dass das Glück launenhaft ist und nicht zu allen kommt, sondern viele auf der Strecke bleiben – weder reich noch glücklich. Aber immer wieder was zum Träumen vorgesetzt bekommen und wenigsten dies kleine Glück genießen wollen.