Hauptbild
Marina Prudenskaya (Azucena), Anna Netrebko (Leonora), Gaston Rivero (Manrico), Plácido Domingo (Graf Luna). Foto: © Matthias Baus
Marina Prudenskaya (Azucena), Anna Netrebko (Leonora), Gaston Rivero (Manrico), Plácido Domingo (Graf Luna). Foto: © Matthias Baus
Hauptrubrik
Banner Full-Size

René Magritte im Spiel-Baukasten – Philipps Stölzls Inszenierung von Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ an der Staatsoper Berlin

Publikationsdatum
Body

PR-technisch hochgekocht, wurde die Neuinszenierung des „Trovatore“ mit den Gesangsstars Anna Netrebko und Placido Domingo mit Spannung erwartet, aber nur partiell eingelöst. Philipp Stölzl als Regisseur und Bühnenbildner (letzteres zusammen mit Moritz Reinhardt) siedelt die krude Handlung von Verdis beliebtester Oper in einem Spielbaukasten an.

Allerdings ist dieser im 21. Jahrhundert virtuell: ein den Orchestergraben überragendes Spielpodest ist nach hinten von zwei hohen Wänden begrenzt. Aber außer zwei praktikablen Türen und einer Klappe erfolgen alle Öffnungen in den beiden Bausteinwänden nur als lichtstarke, perfekte Projektion. Gleich einem Setzbaukasten, tauchen darin Objekte von René Magritte auf, der Apfel, die Kerze, das Stundenglas, das Ei, seine Pfeife oder das Paar mit einem Tuch vor dem Gesicht. Oder die verschobenen Würfel geben den Blick frei auf die sich scheinbar dahinter befindende surreale Welt, mit Margrittes Mondsichel im dichten Baum.

Wie in Gullivers Reisen, sind in dieser Welt der Illusionen die Größenverhältnisse aufgehoben: da sitzt der gefangene Troubadour Manrico als sich verblutender Riese in einer Steinkammer á la Aida, betrauert von gleich zwei Zwergenausgaben der Leonora oder eine Zirkusgesellschaft feiert ausgelassen tanzend hinter Magrittes unbeweglichem Löwen. Im Raum bewegt sich der diesmal von Martin Wright einstudierte Chor in minutiöser Choreographie mit Hellebarden, durch imposante Schattenrisse noch potenziert. Im zweiten Akt zertrümmern die aus einer veritablen Kanone abgefeuerten Feuersalven die Bausteine, aber in der nächsten Szene sind sie wieder heil, um im Finale in den Sternenhimmel von Magritte zu entschweben.

Das wirkt durchaus poetisch, und es scheint die Absurdität des Librettos von Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare für jene Opernhandlung einzulösen, die als die unverständlichste der Opernliteratur gilt.

Die Welt der Zigeuner setzt Stölzl gleich mit Circus und Commedia dell’arte (Kostüme: Ursula Kudrna). Azucena ist eine rothaarige Colombine, und die Komödiantengesellschaft beiderlei Geschlechts führt auch einen Tanzbären mit sich – der nun einen Bogen zwischen den beiden 200er-Jubilaren des Jahres 2013 schlägt, denn ein bemannter Tanzbär spielt ja auch die entscheidende Rolle in Wagners erst in diesem Jahr in einem Zirkuszelt in Nürnberg komplett uraufgeführter zweiter Komischer Oper „Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie“, WWV 48.

Andererseits ist diese szenische Lesart meilenweit entfernt von analytischen Deutungen, wie sie etwa Hans Neuenfels an der Deutschen Oper Berlin verblüffend inszeniert hat.

Die als Koproduktion mit den Wiener Festwochen bereits im Mai dieses Jahres am Theater an der Wien in Wien herausgekommene Inszenierung ist in Berlin hochkarätig besetzt. Plácido Domingo, der vor drei Jahren den Fachwechsel ins Baritonfach gewagt hat, macht mit 71 Jahren auf der Bühne immer noch eine jugendliche Figur, aber mit der baritonalen Lage des Graf Luna hat er doch zu kämpfen, so dass der deutlich reduzierte Applaus des Publikums mehr dem weltberühmten Heldentenor als der Leistung an diesem Premierenabend zu gelten scheint.

Gaston Rivero hat für den erkrankten Aleksandrs Antonenko die Partie des Manrico übernommen; der männlich timbrierte Tenor gefällt in den Duetten, enttäuscht aber in der berühmten Stretta, wenn er den Bravourton (h in der um einen Ganzton nach unten transponierten, erleichterten Fassung) wenig leuchtend und nachgesetzt produziert, wofür er denn sofort auch einige Buhrufe einstecken muss. Marina Prudenskaya wird als eine intensiv gestaltende Azucena allen Facetten dieser Partie bravourös gerecht, und Adrian Sâmpetrean ist ein stimmlich imposanter Ferrando.

Bravourös das Rollendebüt von Anna Netrebko als Leonora: trotz einiger anfänglicher Unsicherheiten in der Cabaletta, Flackern in den Koloraturen und einigen Intonationstrübungen, überzeugt die Sopranistin mit Durchschlagskraft, Zartheit und stimmlicher Erotik. Im Gedächtnis des Hörers bleiben ihre an- und abschwellenden Töne, ihre satte Mittellage und ihre dichten Piani, wie auch ihr durchaus witziges Spiel. Anna Netrebkos Wechsel ins dramatische Fach ist durchaus vielversprechend gelungen.

Nicht ganz so glücklich war ich diesmal über Daniel Barenboim: mit der Staatskapelle Berlin nimmt er Verdis meist gespielte und häufig arg abgenudelte Oper sehr breit, wohl auch um dem Bewegungsduktus des Chores und der wiederholt eingesetzten Zeitlupendarstellung zu entsprechen. Dennoch kam es immer wieder zu Wacklern und Ungereimtheiten zwischen Graben und Bühne.

Erfreulich hingegen, dass auch die zumeist gestrichene, zweite Leonorenarie des vierten Aktes erklingt; in der Berliner Neuinszenierung erdolcht sie sich dabei bereits – um dann doch noch lange zu leben.

Die Geschichte über das ungleiche Brüderpaar, die beide dieselbe Frau lieben, der militante Graf Luna, und der titelgebende späte Minnesänger, der auch seiner vorgeblichen Mutter Azucena in Liebe verbunden ist, endet dreifach letal – nur Graf Luna überlebt. Aber in der Neuinszenierung gesellt auch der sich zu der malerisch auf den Bühnenboden drapierten Gruppe der Leichen.

Der Publikumszuspruch war für Netrebko emphatisch, für deren Kollegen gedämpft und fürs Regieteam geteilt, insgesamt aber moderat.

Weitere Aufführungen: 4., 7., 11., 15., 19., 22. Dezember 2013.

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!