Es ist wirklich interessant, zu überlegen, wie sich der Komponist Erich Wolfgang Korngold stilistisch weiterentwickelt hätte, wäre er nicht 1934 mit Max Reinhardt nach Hollywood gegangen – wo er eine beispiellos erfolgreiche Karriere als Filmkomponist begann. Denn der Begabungsnachweis des siebzehnjährigen mit seinem Einakter „Violanta“ (1914) ist überwältigend.
Verständlich, dass er als Wunderkind angesehen wurde, von Richard Strauss, Gustav Mahler, Engelbert Humperdinck und Bruno Walter bewundert und im damaligen Wien als „neuer Mozart“ gefeiert. Heute wird noch gelegentlich seine 1920 entstandene symbolschwangere Oper „Die tote Stadt“ gespielt, so auch 1999 in Bremerhaven.
Generalmusikdirektor Stephan Tetzlaff hat schon 1993 das Stück ausgegraben und es seitdem mehrfach dirigiert. So gelang ihm jetzt mit der Premiere am Stadttheater Bremerhaven eine höchst intensive und spannungsgeladene Wiedergabe der üppigen und bombastischen Orchesterexplosionen des Stilgemischs aus Strauss, Wagner, Debussy, Mahler, Puccini, der aber auch in dem Versuch einer Eigenständigkeit schon weit fortgeschritten ist. Zugegeben: manchmal sehnt man sich ganz einfach nach einem Piano, dann wiederum akzeptiert man, dass die überbordende Fantasie des jungen Korngold kaum einen Raum dafür lässt. Trotz leicht operettenhafter Elemente ist bei der Komposition ein schon enormes dramaturgisches Gespür zu hören, wenn beispielweise die Vorspannung auf Alfonos Auftritt aufgebaut wird: wie der wohl aussieht, sind alle gespannt.
Doch auch die Geschichte ist krass: sie spielt im Faschings-Venedig der Renaissance. Violanta, Frau des Militärbefehlshabers Simone, will Alfonso ermorden, den frauenverschlingenden Prinz von Neapel, der einst ihre Schwester in den Selbstmord getrieben hat. Die Tat soll mit einem Messerstich Simone ausführen, und in dem Augenblick wirft sich Violanta dazischen, weil sie inzwischen jenen Alfonso liebt: „Nun bin ich gerettet und wieder mein! Höchstes Heil ist mir entboten...frei bin ich von Schuld und Lust“. O je.
Die heute schwer nachvollziehbare Schwüle der vorletzten Jahrhundertwende mit ihren abstrusen Frauen- und Männerbildern fand durch die Handschrift der Regisseurin Petra Luise Meyer einen klugen und leicht ironischen Dämpfer. Macho-Alfonso tritt auf als Popstar mit silberner Hose und nacktem und zunehmend glänzendem Oberkörper und erzählt mitleidsheischend von seiner lieblosen Kindheit. Glänzend gesungen wurde er von Hans Georg Priese mit einem kraftvollen Heldentenor von wunderbarer Höhe und schönem Timbre. Obschon Kirsten Blanck als Violanta sehr schön sang – mit vielen ergreifenden Zwischentönen und großen emotionalen Ausbrüchen - , blieb sie doch als Darstellerin blass, fast bieder. Ihre Ambivalenz zwischen sexueller Lust und Askese bleibt allzu bemüht. Eindrucksvoll Sangmin Lee als stimmgewaltiger Simone. Meyer suggerierte mit der Ausstattung von Timo Dentler und Okarina Peter ein glitzerndes Vorhangquadrat, das für allerlei szenische Veränderungen die Basis bot: eine schöne Idee. Oft durch die Szene schleicht die tote Nerina, die am Ende - entgegen der Vorlage – Violanta in den Dolch schubst. Alles in allem vom ersten bis zum letzten Takt ein nie nachlassender Opernpsychokrimi, der doch mehr sein kann als ein überholtes Dokument des dekadenten Fin de siècle.