Egal, ob zu einer ‚Tudor-Trilogie‘ zusammengeschweißt wie am Grand Théâtre de Genève oder im internationalen Repertoire als doch recht beliebte Einzelstücke: In Gaetano Donizettis Opern über die Tochter Henrys VIII. und englische Monarchin ist Queen Elizabeth I. von England betreffend Liebesangelegenheiten eine Person, welche die gleichen Fehler immer wieder begeht. In Genf wurden unter dem Dirigenten Stefano Montanari und der Regie von Mariame Clément Donizettis längste Oper „Anna Bolena“ über den Schafott-Tod von Elizabeths Mutter, das Macht-, Ehre- und Liebesgerangel „Maria Stuarda“ und jetzt abschließend das packende Belcanto-Psychogramm „Roberto Devereux“ vereint. Ganz neu ist die Idee nicht, aber wirkungsvoll. Neu und konsequent allerdings war die Konstellation von gleichen Besetzungen für die jeweiligen Hauptpartien. Als Trilogie ist der Zyklus Ende Juni zweimal zu sehen. Italienische Oper in Topqualität.
Royale Wiederholungstäterin: Mit „Roberto Devereux“ rundet sich Donizettis Tudor-Trilogie an der Oper Genf
Neben der umjubelten Hauptbesetzung aller drei Produktionen – also Elsa Dreisig, Stéphanie d’Oustrac und Edgardo Rocha – gab es für „Roberto Devereux“ eine Alternativbesetzung, deren Timbres und Vokalprofile dem der berühmteren Premierenpositionen ähneln. Betreffend stilistischer Kompetenz schlägt sich die zweite Vokaltrias in den poetischen Bühnenräumen von Julia Hansen mit der gläsern-eisig wirkenden Parklandschaft, dem hellen Regierungssaal und dem wuchtig-strengen Schlafraum von Elizabeths intimer Rivalin Sara of Nottingham ebenso eindrucksvoll.
Elizabeth ist zwar die einzige in Hofkleidung der frühen Neuzeit unter den schwarzen Hofschranzen und in heutiger Uniformierung präsenten Nahestehenden, bleibt dabei jedoch auch immer etwas außer sich. Big sister is watching you: Nur auf zwei Hologrammen strahlt sie imposant und repräsentativ. Bei den protokollarischen Versammlungen aber zeigt sich aber Elizabeths Erschöpfung durch die Lasten langjähriger Verantwortung. Entweder nickt die Monarchin ein oder sie gibt den Untergebenen immer wieder unfreiwillige Einblicke in ihre seelischen Zerrüttungen.
Nie hat die Königin ihre Favoriten ganz für sich, immer kommt eine andere Frau dazwischen. Clara Pons setzt Video-Bezüge zu Parallelen in Elizabeths I. Vergangenheit. Während in den ersten beiden Teilen der Genfer Tudor-Trilogie eine kindliche Elizabeth so manches beobachtete, blickt jetzt eine Frau mit langen Haaren und weißem Kleid auf die Begebenheiten der 1837 in Neapel uraufgeführten Oper „Roberto Devereux“. Diesem starken Stück hatten vor einigen Jahrzehnten vor allem Beverly Sills und Edita Gruberová unnachahmliche und unerreichbare Interpretinnen-Stempel aufgedrückt. In Genf erreicht man Momente beeindruckenden, intensiven und hochrespektablen Gesangs, doch geht es mehr um eine gloriose Bewährung als um exemplarische Gipfelstürme von opernhistorischer Dimension.
Einmal ist Blackout, nämlich im neuralgischen Moment des letzten Beischlafs zwischen dem Favoriten Roberto und Sara, der Frau seines besten Freundes Nottingham. Darauf implodiert bekanntlich eine von Donizettis traurig-kräftigen Cabaletten. An diesem Moment zeigt sich auch die unspektakulär pointierende Haltung des Dirigenten Stefano Montanari. Dieses Mal klingt das Orchestre de la Suisse Romande mit heller, klarer Konturierung. Pfeilscharf fahren die Bläsersoli dazwischen, immer wieder kommt zu einem samtenen Strom und auch gehärteten Akkordverbindungen. Zu Recht zieht Montanari die präzisionsgeschärfte Feinheit des Alte-Musik-Experten zu Donizetti, was allerdings auch den Verzicht auf Brio und Verdichtungen bedingt. Das kommt einigen Deklamationsszenen zugute, in denen Donizetti Weichen für die Zukunft stellt. Die Tempi und deren Relationen sind immer auf dem richtigen Punkt. Der Chor des Grand Théâtre de Genève unter Mark Biggins setzt eine bestens angemessene Leistung, hat bei Clément aber außer einem choreographisch bewegten Lauschangriff wenig zu tun.
Nur Nicola Alaimo singt als Herzog von Nottingham alle Vorstellungen und ist als erfahrener Souverän prompt der Publikumsliebling. Erst im Terzett, in dem Elisabeth und Nottingham das Ausmaß der Verflechtungen zwischen dem Grafen Robert von Essex und Sara deutlich wird, macht Mert Süngü in der Titelpartie deutlich, warum Elizabeth an diesem Verrat leiden muss wie ein angestochenes Tier. Auch Aya Wakizono als Sara steigert sich bis zu ihrem Duett mit Nottingham, in dem man beidseitige Gewaltbereitschaft mit Mitteln klar gesetzten Belcantos artikuliert. Ekaterina Bakanova legt Elizabeth als grundehrliches und dabei souveränes Porträt an. Sie imitiert nicht Gruberovás Piano-Schärfeextreme und auch nicht Sills’ Höhen-Hochdruck. Dafür schimmern die Verzweiflungsattacken der fulminanten Schlussarie in jedem Ton anders – und immer berückend. Montanari schafft es, dieses Ensemble zu Höchstleistungen zu beflügeln. Durch Cléments Sichtweise wirkt alles das bewegend und doch distinguiert. Es wird spannend werden, ob in den Gesamtaufführungen der Tudor-Trilogie die Temperaturen der Leidenschaft noch steigen.
- Die Tudor-Trilogie am Grand Théâtre de Genève: 18.06. Anna Bolena – 20.06. Maria Stuarda – 23.06. Roberto Devereux UND 26.06. Anna Bolena – 28.06. Maria Stuarda – 30.06. Roberto Devereux
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