Als Komponist dieser Gegenwart fühlt sich Mauricio Kagel mitverantwortlich für die prekäre Lage auf dem Gebiet der Musikpädagogik im allgemeinen und der musikalischen Vorschulerziehung im besonderen. Vor allem im letzteren Bereich sieht er in der Betätigung von Kindern am Orff-Instrumentarium und im stereotypen Einpauken vorfabrizierter Klang- und Formmodelle durch „akustische Unteroffiziere“ eine Gefahr, der er entgegenwirken möchte.
Daher gab er den von ihm geleiteten Kölner Kursen für Neue Musik der Rheinischen Musikschule in diesem Jahr das Thema „Musikinstrumente im Vorschulalter“, lud Pädagogen und Komponistenkollegen zu erfinderischem Tun ein und präsentierte das Ergebnis in Form von 35 neuentwickelten und nach exakten Plänen gebauten Instrumenten – oder, wie er sie lieber genannt wissen möchte: „Klangerzeuger“ – der Öffentlichkeit. […] Unter den vorgeführten Instrumenten […] fanden besonderes Interesse die größeren, mit Namen wie Blaswagen, Wurfbude, Röhrenbongo, Klangflipper oder Achselgeige bezeichneten Gebilde, zumal in ihnen ein Grundprinzip des Unternehmens, die Verwischung der Grenzen zwischen Spielzeug und Instrument und die Anregung zur „Aktivität im Raum“ am ehesten verwirklicht erschien. […] Die wichtigste, allgemeinere Folge des Kagelschen Vorstoßes dürfte jedenfalls sein, dass die „Offenheit“ des Entwurfs und die begründete Absage an jeden autoritären Drill im Musikunterricht dazu zwingt, vieles, was bisher an Modellen für die musische Vorschulerziehung entwickelt wurde, zumindest neu zu durchdenken.
Hans G. Schürmann, Neue Musikzeitung, XXI. Jg., Nr. 1, Februar/März 1972