Ein bukolischer Frieden liegt über dieser Performance. Ein alter Mann am Klavier, ein Junge als Umblätterer, eine Sopranistin als Sokrates-Nachruferin. Alles glüht. Dazu ein milde gestimmter, freilich nicht unironischer Komponist. Mit Erik Saties „symphonischem Drama in drei Teilen“, charmante Übertreibung für eine zurückgenommene kammermusikalische Abschiedsmusik, kehrte in die Bochumer Jahrhunderhalle nach einer kräfteraubenden Debussy-Oper wieder die Stille ein.
Vom aufpeitschenden Furor, mit dem Krzysztof Warlikowski das Unterste von Pelléas et Mélisande nach oben gekehrt hatte, war nur mehr ein Flackern zu spüren. Sicher, die unvermeidliche Großleinwand wurde auch hier wieder bespielt: Texttapete, Turmspringer in slow motion, Wolkendurchzüge – in der Art. Anfänglich durften wir sogar die faltigen Gesichtszüge Reinbert de Leeuws studieren, uns dank eingeblendeter Lebensdaten „399 v.Chr. – 469 v.Chr.“ an unserem Aha-Erlebnis erfreuen: So also sah Sokrates aus!
Das alte Lied: Warlikowski verwechselt sein Publikum immer noch gern mit einer blöden Hammelherde, der man am besten mit dem Regie-Knüppel Beine macht. Nur eben, dass in diesem Arrangement auch dem Haudrauf irgendwie die Hände gebunden waren. Freilich wäre Warlikowski nicht Warlikowski, wenn er nicht auch hier Mittel gefunden hätte, mit denen er fuchteln konnte, um uns hoffnungslos Erschlafften zu zeigen, was er von einer solchen, an den Rändern der Aufmerksamkeit operierenden Musik hält: nämlich nichts. So wie er de Leeuw hineinschlurfen ließ, ihn erst zum umständlichen Schuhwechsel, dann zum Schlückchen aus der hingestellten Rotweinflasche animierte, unvermeidliche Zigarette danach – so stand über Saties „Socrate“ eine Warlikowski-Warnschrift in bester Satie-Missachtung: Amusement für Greise, Kids und Trauerweiber.
Pech nur, dass Warlikowski nicht damit gerechnet hatte, in de Leeuw und in einer wunderbaren Barbara Hannigan aufrechte Satie-Verehrer auf die Bühne schicken zu müssen. Die ließen sich denn auch von seinen vulgären Zeichenhandlungen nicht groß irritieren. De Leeuws einfühlsames Klavierspiel, eng an den Tasten, aus Griffbildern gedacht, korrespondierte den träumend-traumwandlerischen Kantilenen Hannigans. Einverständliches Musizieren. Gemeinsam realisierten Hannigan-de Leeuw etwas, das in den großen Ruhrtriennale-Aufführungen offenbar nicht mehr auftauchen darf: Warmherzigkeit, Humanität, Intimität. Solches gilt inzwischen, zumal unter der Großintendanz Johan Simons, nur mehr als Lippenbekenntnis.
Ebenso übrigens wie das Spiel in den Industriekathedralen zwischen Ruhr und Emscher. Insbesondere die Jahrhunderthalle scheint als Jahrhunderthalle endgültig abgemeldet. Was ist geblieben vom vollmundig beschworenen Theater-Geist am alternativen Ort? Das opulente, abendfüllende Konzert und Musiktheater muss verstärkt werden, vom Orchester bis zu den Stimmen. Und was ist mit der Patina von Eisen und Stahl? Hat abgedankt, ihren Kredit verloren. Socrate ließ Warlikowski in den verlassenen Kulissen seiner Pelléas et Mélisande spielen: Parkettboden, große Showtreppe, holzvertäfelte Rückwand. Das Misstrauen in die Tauglichkeit der alten Werkhallen ist offenkundig geworden. Derart offenbarungseidlich endete auch, man erinnere sich an einen total verschalten Tristan, die Intendanz Willy Deckers.