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Russische Liebesgrüße an der Amstel – de nederlandse opera präsentiert Peter Tschaikowsky „Eugen Onegin“

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Zur Eröffnung des diesjährigen HOLLAND FESTIVALs wurde – und das klang nicht gerade innovativ – Peter Tschaikowskys „Eugen Onegin“ anberaumt, eine Nachzüglerin der „romantischen Opern“ über müßiggängerisches Leben besserer Kreise im zur Neige gehenden Zarenreich. Womöglich lassen sich gewisse Parallelen zu persönlichen Befindlichkeiten in einer verwöhnten Generation junger Leute heute diagnostizieren und herauspräparieren (immerhin erschienen Mitglieder der königlichen Familie zur Premiere).

Ob psychische Aggregatzustände im spätfeudalen Rußland heute noch oder wieder theatral prickelnd werden, entscheidet sich durch den Zugriff der Regie. Indem der Regisseur Stefan Herheim erstmals in die Niederlande verpflichtet wurde, stand zu erwarten, daß der ausgelaugten Tschaikowsky-Oper nochmals interessante Aspekte abgerungen werden und diese mehr hergeben als imposante Festszenen auf dem Lande und in der Hauptstadt.

Zunächst einmal stachen freilich die Ausstattung und die Kostüme von Philipp Fürhofer und Gesine Völlm ins Auge: Große Prachtentfaltung im Foyer eines hinter schwerem dunklem Marmor verborgenen modernen Festsaals, den die Gäste über zwei Aufzüge und durch einen mondänen gläsernen Kubus erreichen! Das dürfte dem neokonservativen Geschmack, der auch in der niederländischen Hauptstadt auf dem Vormarsch ist, sehr entgegengekommen sein. Der Aufmarsch zum Ball in historischen Gewändern und mit reichlich Insignien militärischer Ehren, bei dem der Bonvivant Jewgeni Onjegin bereits herumtorkelt, obwohl das Libretto von Konstantin Schilowski und Tschaikowsky ihn erst später in die „lyrischen Szenen“ einführen, ist ein Vorgriff.

Auch des weiteren operiert Stefan Herheim mit den Mitteln von Vorschau und Rückblende. Das, was an Andeutungen über Seelenzustände aus der Dichtung Alexander Puschkins übrigblieb und was die sequenzenselige Musik im Hinblick auf den Gefühlshaushalt ausplaudert, wird im Wechselspiel der höheren Tochter Tatjana – der massiv-solide singenden Krassimira Stoyanova – und Eugen O. – dem rollendeckend überzeugenden Bariton Bo Skovhus – bzw. deren beiden stummen Doppelgängern ausgespielt und breitgetreten. Überdeutlich auch immer wieder das Innehalten der Doubles, ihre Darstellung von so etwas wie „Seinsvergewisserung. Skovhus führt die musikalischen Konversationen nicht nur geschmeidig, sondern allenthalben auch viril markant: Höchst plausibel wird, warum sich die in ihre literarische Welt eingesponnene Tatjana Knall auf Fall in diesen „interessanten Fremden“ verliebt, dieser aber solch emphatischer Entschiedenheit ausweicht und es vorzieht, das Leben noch etwas variabel zu genießen, bevor er sich in fest Hände zu begeben gedenkt. Und nicht minder apart erscheint, daß Tatjana den überraschend aufgetauchten Mann ihrer Träume bereits in ihrem Bett liegen sieht – und die Zuschauer mit ihr.

Viel und prächtig wird gefeiert. Der russische Braunbär darf ein paar lustige Einlagen unter den mit Glühbirnen bestückten Hirschgeweihen vorführen. Ein großer leuchtender Stern geht über einer der Festszenen auf, wird von Wunderkerzen noch lichter illuminiert, dabei setzt herabstürzendes heißes Material Monsieur Triquets Perücke in Flammen (sah man diesen Gag nicht bereits vor nicht allzu langer Zeit in einer anderen Herheim-Inszenierung?). So, wie dieser Regisseur anläßlich seiner Bayreuther „Parsifal“-Produktion deutliche Bildverweise auf Verläufe deutscher Geschichte einfallen ließ, so sorgt er jetzt für Anspielungen auf Highlights der russischen: Mit der Aufforderung zum Duell stellen sich ein paar Rotarmisten mit vorgehaltenen Gewehren ein. Deren Offiziere sekundieren dem Ehrenhändel der beiden aus nichtigem Grund verfeindeten Freunde Onegin und Lenski dann auf wenig seriöse Weise. Schließlich gesellen sich noch Primaballerinen aus „Dornröschen“ und „Schwanensee“, hochdekorierte Helden des sozialistischen Sports und Kosmonauten in die Festtableaus, die immer wieder zu Gruppenfotos wie aus den heroischsten Zeiten des Bolschoi-Theaters gerinnen.

Die ganze heiter-ahistorische Pracht ist gewiß im Sinne des Arbeitsprogramms von Herheim ein neuerliches Plädoyer gegen eindimensionale Übertragung historischer Opern in Richtung Gegenwart; doch sie wirkt, als habe der Regisseur der Handlung und ihrer Musik nicht zugetraut, einen großen Abend herzugeben. Daher wohl die exzessiven und extrem teuren Zutaten. Die Musik, diese gewaltig kalorienreiche Nachspeise des 19. Jahrhunderts, wird vom Koninklijk Concertgebouworkest unter der Leitung von dessen Chefdirigenten Mariss Jansons mit aller Liebe zum Detail ausmusiziert – makellos und effektvoll. Wie die ganze Produktion kommt sie als betörend schöne Betäubung der Hohlheit des Werks des Wegs. So ist sie in gewisser Weise eine adäquate und an die heutige Amsterdamer Gesellschaft adressierte frohe Botschaft. Da fügt sich gut, daß der Held, dieser notorische Verlierer, der sich bei der Schießerei mit dem Literaten nur durch den Dusel des Angetrunkenen durchsetzt, noch nicht einmal den finalen Amoklauf und Suizid bewerkstelligen kann: die Waffe, die ihm Fürst Gremin in die Hand drückt, ist nicht geladen.

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