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Janaceks Jenufa in Detmold. Foto: Klaus Levebvre
Janaceks Jenufa in Detmold. Foto: Klaus Levebvre
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Sängerisches Ereignis ohne roten Faden – Janaceks Jenufa in Detmold

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Als Reisebühne, deren Auftrag es ist, durch die Lande zu ziehen und Gastspiele in solchen Städten zu geben, die über kein eigenes Haus verfügen, ist das Landestheater Detmold immer auf Bühnenbilder angewiesen, die möglichst praktisch sind und sich in Häusern mit ganz unterschiedlicher Ausstattung realisieren lassen. Unter dieser Voraussetzung schickte Detmolds Intendant Kay Metzger vor einigen Jahren sogar Richard Wagners „Ring“ sehr überzeugend und erfolgreich auf die Reise durch die sogenannte Provinz – auch Dirk Schmedings „Jenufa“, die am Wochenende in Detmold Premiere feierte, wird völlig problemlos auf Tournee gehen können.

Dies ist sicher: kein einziger Tabakwaren-Konzern ist Sponsor des Landestheaters Detmold! Aber es wird viel geraucht – immer dann, wenn Regisseur Dirk Schmeding inszeniert. Vor ziemlich genau einem Jahr in Giuseppe Verdis „Trovatore“, auch jetzt wieder in Leos Janaceks „Jenufa“. Da ist es die alte Buryja, die offensichtlich der Sucht völlig erlegen ist. Aber auch viele der übrigen Personen stecken sich gern mal zur Beruhigung einen Glimmstengel an. Wobei es in Schmedings Lesart eigentlich gar nicht so viel zu beruhigen gibt, denn so dramatisch ist die Geschichte vom Kindsmord, von der vertrackten Liebesbeziehung Jenufas zu Laca und Stewa, von der Entdeckung der im zugefrorenen Eis versteckten Babyleiche in dieser Inszenierung gar nicht angelegt.

Wenn sich zu den ersten Orchesterklängen der fahlgraue Eiserne Vorhang hebt (der zu Janaceks Krimi bestens passt), blickt man auf eine Ansammlung von Menschen: Frauen in einfacher Kleidung, die in Plastikbadewannen Geschirr spülen, Männer in größeren Gruppen, die sich unterhalten, andere Männer, die sich offensichtlich mit einer Tapete beschäftigen, hinter der ein lichter Birkenwald sichtbar wird (oder verschwinden soll?), ein paar coole Typen mit Strickmützen, die aussehen, als kämen sie gerade aus einem Occupy-Camp. Mittendrin die alte Buryja, wie immer Kartoffeln schälend. Und dann Jenufa. Die hebt sich schon vom Rest dadurch ab, das sie jede Menge Bücher um sich herum liegen hat und diese auch liest. Ihre äußere Erscheinung ist die einer intelligenten Frau mit markanter Brille, einer kämpferischen, auf deren T-Shirt ein roter Anarcho-Stern prangt und auch mal bis zum Hals in einem schwarzen Overall verschwindet. Laca, unsterblich in Jenufa verliebt, sitzt dagegen auf dem Boden herum und entlockt seiner Gitarre zarte Töne, während direkt nebenan ein alternativ angehauchter Junge sich mit einer ausgestopften Ziege beschäftigt. Jede Menge Details also, aus denen, so könnte man erwarten, sich eine interessante Erzählung entwickelt. Indes bleibt es bei diesen zu Anfang des ersten Aktes gezeigten Details, eine Erzählung wird daraus keineswegs – und man müsste Dirk Schmeding fragen, was er uns mit seiner „Jenufa“ eigentlich sagen will, ob er einen Roten Faden auszuspinnen gedachte - und wenn ja: welchen! Denn die beiden folgenden Akte scheinen mit der Exposition nicht mehr viel zu tun zu haben. Das Haus der Küsterin (2. Akt) ist ein ärmlicher Sperrholz-Verschlag, die Hochzeitsszene (3. Akt) findet auf einer nüchternen, von einem Portikus überwölbten Spielebene statt, auf der es furchtbar regnet. Von Anarcho-Typen, Birkenwald und spülenden Frauen ist da keine Spur mehr.

Und doch ist diese Detmolder „Jenufa“ ein großes Ereignis, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte – ein sängerisches Ereignis! Die ganze Psychologie des Stückes, die von der Regie im Grunde vernachlässigt wird, deuten die Darsteller mit ihrem Gesang aus. Und der ist durchweg erstklassig, wenn nicht gar sensationell. Allen voran Andrea Baker als Küsterin mit dem Kindsmord auf dem Gewissen. Bis hinein in die letzte Faser ihrer selbst durchleidet sie diese Rolle, ist davon überzeugt, das Richtige zu tun, um es später glaubwürdig zutiefst zu bereuen. Ein packendes, anrührendes, ergreifendes Rollenporträt, das Baker sowohl mit Sensibilität als auch großer (manchmal zu großer) Kraft zeichnet. Dafür bekam sie orkanartig rauschenden Premierenbeifall. Jana Havranová in der Titelrolle durchleidet sämtliche Höhen und Tiefen ihrer Gefühlswelt – eine Frau hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu Stewa, der sie im Affekt verunstaltet, und jenem Laca, der schon immer neidisch ein Auge auf sie geworfen hat und sie am Ende auch bekommt. Havranová transportiert all diese turbulenten Seelenzustände unglaublich expressiv, ganz explizit auch in ihrem Gebet an die Jungfrau Maria. Ebenso eindrucksvoll Ewandro Stenzowski als wunderbar ausgeglichener, gleichwohl bis zur Raserei sich aufschwingender Stewa. Heiko Börner ist sein Gegenspieler Laca, kraftvoll und durchsetzungsstark. Auch die mittleren und kleineren Rollen sind umwerfend gut besetzt mit Gritt Gnauck als Alte Buryja, Claudius Muth als Dorfrichter mit raumgreifenden Bass, Mila Feiden als dessen Frau, Anna Werle als Karolka, Annette Blazyczek und Franziska Ringe in Doppel- bzw. Dreifachrollen. Und Bariton Andreas Jören (der auch gern mal rauchende Altgesell) gehört ohnehin zu den verlässlichen Ensemble-Mitgliedern, auf die in Detmold seit etlichen Jahren immer und immer wieder Verlass ist.

Es sind also die Sängerinnen und Sänger, die diesen Abend tragen, ihn zu einem musikalisch spannenden Ereignis werden lassen. Dazu kommt Lutz Rademacher am Pult des Detmolder Orchesters. Das spielt hoch konzentriert, farbenreich – und spürt all den Schroffheiten, aber auch den Zärtlichkeiten der Musik Janaceks subtil nach.

Weitere Termine: 21.2.; 5.3.; 14.3.; 22.3.; 15.5.; 22.5.; 18.6. 2014
www.landestheater-detmold.de

 

 

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