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Sahnetörtchen und sinfonische Etüden

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Ein Festival-Newcomer im Aufschwung · „Sinfonischer Sommer Riedenburg 1998“
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Ähnlich wie in einem kleinen Dorf im Burgenland, in Lockenhaus, in dem vor 17 Jahren der Geiger Gidon Kremer und der Dorfpfarrer das jährliche Kammermusikfest „Kremerata musica“ ins Leben gerufen haben, taten sich in Riedenburg im vergangenen Jahr der Komponist Franz Hummel und Max Krieger von der Gewerbevereinigung Riedenburg zusammen und gründeten den „Sinfonischen Sommer“. Das Grundanliegen der beiden ähnelt dem von Lockenhaus: Beide Festivals legen einen Schwerpunkt auf zeitgenössische Musik. Franz Hummels Konzept, „Beethoven und das 20. Jahrhundert“, unterscheidet sich aber in einem deutlich von Lockenhaus. Für Beethoven braucht Hummel ein Orchester. Und das fand er im Moskauer Sinfonieorchester unter Alexei Kornienko.

Auf seinen Konzertreisen durch Rußland hatte Franz Hummel viele Musiker in der ehemaligen Sowjetunion kennengelernt und war auch mit Alexei Kornienko in Kontakt gekommen. Hummel kann den Musikern zwar finanziell nicht viel bieten, jedoch „ein Konzertpodium in Westeuropa und eine neues Repertoire, und „in ein paar Jahren werden die Moskauer Sinfoniker das einzige Orchester in Europa sein, daß diese Werke spielen kann“, erklärt Hummel den Anreiz für die Musiker, bei seinem Festival mitzuwirken. Die rund 120 Orchestermitglieder werden familiär von der Riedenburger Bevölkerung aufgenommen, werden von den ansässigen Gastwirten verpflegt und bedanken sich dafür mit Tafelmusik im Anschluß an die Konzerte. Das Repertoire hatte es in sich: Allein sechs Uraufführungen standen 1998 auf dem Programm und mußten vom Orchester in zehn Tagen einstudiert werden. Am ersten Abend bildete Beethovens Vierte den Kontrapunkt zu Honneggers „Pacific 231“ und den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss. Das Publikum durfte aber auch neues Klangland entdecken. „Con spirito, für Orchester“ hatte der Ungar József Sári, der bei der Urauführung im Publikum war, sein Werk – eigentlich eine Sinfonie – genannt. Das Wort Sinfonie, so Sári, sei unter den Kollegen in Ungarn beinahe schon anrüchig, deshalb habe er diesen Titel gewählt. Das Stück, das vor allem den Schlagzeugern viel Betätigungsmöglichkeiten bot und darüber hinaus noch den ganz ausgezeichneten 1. Hornisten des Moskauer Sinfonieorchesters in ausführlichen Solopassagen vorstellte, ist von einer dichten und dunklen Klanglichkeit getragen. Es spricht eine zeitgemäße Sprache, die sowohl den Fachmann wie den naiven Hörer befriedigt. Mit der Uraufführung der Neufassung seines „Sinfonischen Fragments für Sopran und Orchester nach Texten von Joseph Beuys “ kam am zweiten Tag ein Werk von Festivalchef Hummel zur Uraufführung. Hummel, dessen Oper „Beuys“ erst kürzlich in Düsseldorf Premiere hatte, beschäftigt sich seit langem mit dem, bisher wenig beachteten, Textnachlaß des unorthodoxen Malers. Durch die intensive Beschäftigung mit seiner Beuys-Oper fühlte sich Hummel dazu angeregt, manches am „Fragment“, einem Auftragswerk zur Eröffnung der documenta im Jahr 1992, „besser zu machen“. Durch die Hinzunahme einer Sopranstimme anstelle eines Sprechers hat das Stück auch tatsächlich profitiert. Die schön geführten, schlanken Sopranlinien Gabriele Schmids bildeten einen ganz eigentümlichen, packenden Kontrast zum monolithischen und rhythmisch kraftvollen Orchesterpart. Beim Kammermusik-Marathon spielten Ulf Hoelscher, Giora Feidman und Carmen Piazzini neben den jungen Pianisten Silvia Fischer, Julian Evans, Benjamin Kobler und russischen Nachwuchsgeigerinnen und -geigern. Leider gelang der Repertoire-Mix an diesem Abend nicht so ganz. Den Klavier- und Violinsonaten sowie Bagatellen von Beethoven stand nicht die „echte Moderne“ gegenüber, sondern meist zeitgenössische Bearbeitungen von Kompositionen aus dem 19. Jahrhundert, Bravourstückchen, mit denen Geiger nach Solo-Konzerten ihr virtuoses Können zeigen, und die mittlerweile leider oft Nachwuchsgeiger auf ihre ersten Konzertprogramme setzen. Technisch waren alle sehr gut, doch musikalisch stach die Jüngste, die siebzehnjährige Maria Skrjabina, mit ihrer Interpretation der Kreisler-Arrangements von Rachmaninows „Albumblatt“ und Granados’ „Spanischem Tanz“ heraus. Auch bei den arrivierten Geigerinnen und Geigern konnte man Unterschiede feststellen. Ulf Hoelscher spielte die dritte Beethoven-Sonate sehr zurückhaltend, fast unsicher, während Elena Denisova mit ihrer extrovertierten, überzeugenden Interpretation der siebten Sonate die Zuhörer selbst noch um 2.30 Uhr in ihren Bann zog. Die vielen Stunden, die mit Musik gefüllt werden mußten, ermöglichten noch weitere Vergleiche. Acht Pianistinnen und Pianisten kamen zum Einsatz, spielten auf dem gleichen Instrument, doch sie entlockten ihm ganz verschiedene Klänge und Klangfarben. Julian Evans wagte sich an Franz Liszts Transkription von Beethovens Eroica, ein Mammutwerk für einen Pianisten, das viel Ausdauer, Kraft und Gestaltungsfähigkeit verlangt, die der junge Engländer besitzt. Benjamin Kobler gelang es bei der siebten Klaviersonate jedoch, noch etwas gefühlvoller und differenzierter zu spielen. Das Rennen machten dann zwei Frauen: Carmen Piazzini und Silvia Fischer. Beide waren als Begleiterinnen und Solistinnen zu hören. Hummels Klaviersonate „Archipelagos“ mit Carmen Piazzini stand nicht nur im zeitlichen Mittelpunkt des Abends, und die bis kurz vor vier Uhr in dicke Decken gehüllt ausharrende etwa 150köpfige Schar der Kammermusikfreunde wurde von Silvia Fischer mit einer hervorragenden Interpretation von „Les courlis cendrés“ aus Olivier Messiaens „Catalogue d’oiseaux“ belohnt. Krönender Abschluß des Abends bildeten Beethovens fünfte Cellosonate und Susan Oswells Tango 97 mit Carmen Piazzini und dem Cellisten Peter Wolf als Kammermusik in Reinkultur. Die beiden musizierten so aufeinander hörend und aufeinander abgestimmt, wie man es sich nur wünschen kann. Der in diesem Jahr Streichern und Pianisten vorbehaltene Abend wurde gegen Mitternacht von dem Klarinettisten Giora Feidman aufgelockert. Ein jiddisches Volkslied spielend, bahnte er sich einen Weg über den mit dicht gedrängt sitzenden und stehenden Menschen gefüllten Marktplatz zur Bühne, um dort anschließend mit Hummel süffige Harmonien zu improvisieren. Feidmans Tag aber war der vierte Tag des Festivals: Der Sonntag abend hatte mit Ernest Blochs hebräischer Rhapsodie „Schelomo“ begonnen. Giora Feidman hatte die Cellostimme für Baßklarinette umgeschrieben, und so trat in der Musik eine noch stärkere „hebräische“ Klangfarbe zu Tage, denn Feidman brachte Elemente der Klezmer-Musik mit ein. Auch im nächsten Stück fehlten diese Elemente nicht, denn Franz Hummels Komposition für Klarinette und Orchester, „Hatikva“, ist Giora Feidman gewidmet, der sie uraufführte. Beim Kammermusik-Marathon war Ulf Hoelscher hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben. Nun, am Abschlußabend, machte er das wieder wett mit Bergs Violinkonzert. Einfühlsam, virtuos und klangschön interpretierte er das dem Andenken eines Engels, der an Kinderlähmung verstorbenen Tochter Alma Mahler-Werfels, Manon Gropius, gewidmete Werk.

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