Ausgerechnet das als Weltnovität angekündigte Herzstück der diesjährigen Salzburger Festspiele war ein Megaflop. Die meisten Kritiker ließen kein gutes Haar an der neuen „Salzburger Dreigroschenoper“, die in der Felsenreitschule als „einmalige Experimentalfassung“ zu sehen war. Der britische Komponist und Arrangeur Martin Lowe hatte dafür die berühmten Weill-Songs neu orchestriert. „Haifisch ohne Zähne“ lautete die mildeste der Überschriften in den Feuilletons.
Besonders die süßlich-süffige, streckenweise nach billigem Musical klingende Soße, die Lowe über dem Stück ausgegossen hatte, stimmte die Experten ungnädig. Wenige Tage später wurde der Missgriff noch deutlicher. Das Frankfurter Ensemble Modern unter dem gut gelaunten Komponisten und Dirigenten HK Gruber mit Max Raabe als aasigem Chefgangster Mackie Messer stellte eindrücklich unter Beweis, dass die 1928 uraufgeführte „Bettleroper“ von Bertolt Brecht/Kurt Weill keiner Überarbeitung bedarf.
Mitverantwortlich für die Pleite war der Schauspieler und Regisseur Sven-Eric Bechtolf, dieses Jahr als Interimsintendant auch für das Gesamtprogramm zuständig. Er hatte Lowe engagiert und war zusammen mit Julian Crouch in der Salzburger „Dreigroschenoper“ als Co-Regisseur tätig. Etwas besser kam Bechtolfs Allein-Inszenierung von Mozarts „Figaro“ weg. Die Kritiker lobten das detailreiche Bühnenbild und die handwerkliche Realisierung, vermissten jedoch Tiefgang. Als zu brav erwies sich auch die musikalische Seite mit Dan Ettinger am Pult der Wiener Philharmoniker und einem eher durchschnittlichen Sängerensemble.
Einer der größten Erfolge der Salzburger Saison 2015, die an diesem Sonntag zu Ende geht, war die Eröffnungspremiere mit Wolfgang Rihms selten gespielter Oper „Die Eroberung von Mexiko“. Regisseur Peter Konwitschny, allgemein als Regie-Berserker ebenso berühmt wie berüchtigt, machte bei seinem Salzburger Debüt aus dem Spiel um die Niederwerfung der Azteken durch die Spanier ein wüstes Ehedrama. Vorbildlich wie immer organisierte Ingo Metzmacher Rihms ausufernde Klanginstallation. Kritiker und Publikum waren sich einig: festspielwürdig.
Gleichfalls festspielwürdig, wenn auch vielleicht ein wenig verkopft: Claus Guths Neuinterpretation von Beethovens „Fidelio“ mit Startenor Jonas Kaufmann als Florestan und Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker. Guth verweigerte dem Publikum jede Hoffnung auf Erlösung aus dem von den Menschen selbst gebauten Gefängnis aus Dummheit und Selbstüberschätzung. Sein Florestan bleibt auch nach geglückter Befreiung aus dem Staatsgefängnis ein schwer Traumatisierter, der sich bei den finalen Jubelgesängen die Ohren zuhält.
Zwei große Diven des Operngesangs beherrschten die Reihe der Wiederaufnahmen. Cecilia Bartoli glänzte in den Pfingstfestspielproduktionen “Norma“ und „Iphigénie en Tauride“ und Anna Netrebko übertraf sich wieder einmal selbst als Leonora in Alvis Hermanis opulenter Produktion von Verdis „Il Trovatore“ vom vergangenen Sommer. Das Publikum war zu Recht aus dem Häuschen.
Die missglückte „Dreigroschenoper“ war streng genommen Teil des Schauspielprogramms, das auch sonst wenig zu bieten hatte. Hier standen mit Goethes „Clavigo“ und Shakespeares „Komödie der Irrungen“ zwei weniger beachtete Jugendwerke der Dichter-Genies auf dem Spielplan. Beide Produktionen ließen jeden Ernst der Auseinandersetzung mit dem Stoff vermissen, setzen ganz aufs kunterbunte, populistische Spektakel. Ein Ärgernis, befanden die meisten Kritiker.
Wenig Überraschendes bot das opulente Konzertprogramm. Dafür ein Wiedersehen mit altbekannten Salzburger Festspielgästen: den Pianisten Maurizio Pollini und Grigory Sokolov, den Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, Riccardo Muti, Daniel Barenboim und Bernard Haitink, den Liedsängern Christian Gerhaher und Matthias Goerne, um nur wenige zu nennen.
Haitink gab eine prachtvolle Achte Symphonie von Anton Brucker mit den wunderbar weich und romantisch aufspielenden Wienern, Harnoncourt mit seinem „Concentus Musicus“ eine harsche Interpretation von Beethovens „Missa Solemnis“. Der Pionier der Originalklang-Bewegung hatte die Bühne des Großen Festspielhauses auf Krücken betreten und mancher mochte sich bang gefragt haben, wie lang man diesen musikalisch so jung gebliebenen Altmeister noch wird erleben können.