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Rama Gottfried: Scenes from the Plastisphere. Foto: © Rama Gottfried
Rama Gottfried: Scenes from the Plastisphere. Foto: © Rama Gottfried
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Samplifizierend bis schrundig: „Autonome Musik“ mit dem ensemble mosaik

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Neue Musik, deine Programmbeschreibungen! Uneingeweihten Ohren klingen sie gern mal nach Drohung – oder zumindest mehr nach wissenschaftlichem Kolloquium als nach Konzert: „Die vierteilige Konzertreihe Autonome Musik im Kesselhaus der Kulturbrauerei Berlin thematisiert in einer Gegenüberstellung von Komposition und Performance kontrastierende Konzeptionen von Konzertmusik. In den Konzerten begegnen Ensemblekompositionen, deren detaillierte Klang- und Formgestaltung einen ausgeprägten Werkcharakter aufweisen, einer sich fortsetzenden Folge von Miniaturen, die konzeptuell angelegt sind und in Echtzeit ausformuliert werden.“

Wahrscheinlich steckt nicht zuletzt der für freie Künstler drückende Antrags- und Exposéschreibezwang hinter solcher Expositis, die auf ein Publikum außerhalb der Betriebszirkel wenig verlockend wirken mag (und das Zitat ist ja noch ein harmloses Beispiel).

Dabei führt das 1997 gegründete Berliner ensemble mosaik unter Leitung von Enno Poppe im zweiten Konzert dieser Reihe drei aktuelle Kompositionen auf, die den Hörer unverquast und direkt anzusprechen wissen, ohne sich in Klangbanalitäten zu gefallen.

Mysteriöse Gestalten in ständiger Metamorphose

Die verheißenen kontrastierenden Performance-Miniaturen entpuppen sich indes als eingängige Intermezzi, die feinsäuberlich getrennt zwischen den Musikstücken aufgeführt werden. Das in Nahaufnahme gefilmte und projizierte Spiel mit Federn, Händen und Papier erinnert dabei weniger an Marionettentheater, wie es der US-Amerikaner Rama Gottfried für seine Scenes from the Plastisphere vorschlägt, als an abstrakte Fingerpuppen. Mysteriöse Gestalten in ständiger Metamorphose ringeln und schlingeln sich da übers Bild – glücklicherweise keine aseptische Leinwand, sondern die schrundige Wand des Kesselhauses. Und die ist wie alle schrundigen Wände schon für sich ein optisches Ereignis. Zugleich bringt das Gefummel über eine Audiosoftware Klänge und Töne vor, die gewiss nie in den befummelten Dingen geschlafen haben. Das Knistern, Knittern, Bumpern und recht unangenehme Fiepen ist zwar auf Dauer etwas eintönig. Aber darüber tröstet die schrundige Wand hinweg.

Bogenkratzen bis zu Klangschalenwohligkeit

Und wenn die Projektion am Ende die rechteckige Leinwand verlässt, um in ein schwebendes, an eine Wolke oder Qualle erinnerndes Tüllknäuel zu wandern und sich schließlich in einen Sternenhimmel aus Katzenaugen aufzulösen, die den ganzen Raum füllen, dann spannt sich auch der Bogen zur Musik. Selbst wenn man einen solchen Sternenhimmel in einer versmogten Metropolennacht nie sähe, wie sie Ulrich Kreppein in seinem hier uraufgeführten Nachtstück (2018) in Töne setzt. Kreppein hat eine sechsstündige Mikrofonaufnahme aus dem nächtlichen Seoul akkurat analysiert und auf vierzig Minuten für kleines Instrumentalensemble eingedampft. Das akustische Porträt ist von Bogenkratzen bis zu Klangschalenwohligkeit so stark verfremdet, dass der Hörer jeden Dechiffrierzwang sausen lässt und sich seine eigene Nacht erschafft. Eine Nacht, in der es atmet, knarzt und gespenstet, aber man doch deutlich mehr Autolichter und Leuchtreklamen hört (sic) als etwa bei Sciarrino.

Vierzig Minuten sind allerdings lang genug, dass der Blick des Hörers doch gelegentlich den Trost der schrundigen Wand sucht. Geschieht hier nicht den Klanglichtern der Großstadt eben das, was zuvor im ersten Stück des Abends der Dinosaurier-Synthie „Fairlight CMI“ mit den Instrumenten anstellte: nämlich eine krass verarmende Samplifizierung?

Pingpongspiel zwischen Instrumentalensemble und Versampler

Die ist in Kirsten Reeses eingangs gehörten Light Green Rituals jedoch hochgradig heiter. Von den einzelnen Instrumentalisten gegebene kurze akustische Signale übersetzt der Fairlight-Computer von 1979 in stark datenreduzierte Samples, die unscharf zu nennen ein Euphemismus wäre. Aber das Pingpongspiel zwischen Instrumentalensemble und Versampler funktioniert prächtig. Der Kuttenmann am Synthie (wie in guten alten Barocktagen mit dem Rücken zum Publikum und auf stilecht samtbezogenem Hocker) gebärdet sich dabei als sehr komische Mischung aus Virtuoso und Schamane. Und Reeses Komposition gelingt nebenher die putzige Verschmelzung von kauzigem Concerto Grosso und Solokonzert. Das ist ein geistreiches Vergnügen, wenn auch in der Großform etwas additiv. Und die in der hinteren Bühnenecke abspulenden Bilder von Buddhismus und Torpedos addieren gar nichts.

Mosaik aus Klangwürmchen

Auf alle Bilder verzichtet das Opus vermiculatum des 1988 geborenen Basken Mikel Urquiza: insofern die autonomste Musik des Abends und zweifellos die in Rhythmik und Vorwärtsdrang unmittelbar wirkungsvollste. In diesem Mosaik aus Klangwürmchen pendeln anfangs zwei piepsende Glissandomoleküle in den Holzbläsern hin und her, um sich immer weiter zu verdichten: die Illusion organischen Klangwachstums. Das hat starken Sog und geradezu musikantischen Klangwitz.

Ein gern gehörter und nicht ungern gesehener Abend. Fortsetzung der Reihe am 17. Mai.

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