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Claudia Mahnke (Didon). Foto: Barbara Aumüller
Claudia Mahnke (Didon). Foto: Barbara Aumüller
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Scheiternde Frauen in Umbruchszeiten – Frankfurts Oper mit „Les Troyens“ von Hector Berlioz

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Berlioz’ groß angelegte Adaption der Epen von Homer und Vergil, vom Fall Trojas, von Aeneas Flucht, vom Kurzen Liebesglück in Karthago: in moderne Zeiten verlegen? Oder gänzlich von ihnen „ins Menschliche“ abstrahieren? Oder gar Samuel Huntingtons wieder aktuellen „Kampf der Kulturen“ inszenieren? Oder…? Das ist die szenische Herausforderung. Die musikalische: eine Wagners „Ring“ vergleichbare Besetzung finden. Frankfurts Oper brillierte bis auf einen Gast mit einer Besetzung aus dem Hausensemble.

„Wenn man eine Tanja Ariane Baumgartner und eine Claudia Mahnke im Ensemble hat, dann muss man „Trojaner“ machen“ begann Intendant Bernd Loebe seine Premierenansprache und erzählte dann launig, dass er „Kassandra-Mahnke und Dido-Baumgartner“ geplant hatte, bei Studienbeginn beide Damen vor ihm saßen und untereinander abgemacht hatten: „Andersherum“ – was sich als Glücksfall erwies.

Schon zu den ersten Takten erschien bühnengroß Baumgartners Kopf auf dem schwarzen Zwischenvorhang: ein Tragödinnen- Gesicht, umrahmt von ihrer originalen schwarzen Mähne. In der Szene kam eine drahtige Erscheinung in einem altvioletten, langen Kleid samt Schulterumhang dazu, vor allem aber ein dramatischer Mezzosopran, der mal die wahnsinnsnahe Grellheit der unbeachteten Seherin von Trojas Untergang, mal die schmerzliche Wärme der kurzen Liebe zum todgeweihten Chorèbe (kernig baritonal Gordon Bintner) verströmte – ein fulminantes Rollendebüt, mit Jubelstürmen belohnt.

Herausragendes Haus-Ensemble

Zwischen dem zweiaktigen Untergang Trojas und den folgenden drei Akten in Didos Karthago liegt ja die Flucht Aeneas’ über das Mittelmeer: von den Göttern und dem Geist des toten Helden Hector ist ihm die Gründungs Roms aufgetragen, sein Heldentod und das kommende Weltreich vorhergesagt. Die Neugründung Karthago ist in den sieben Jahren unter Didos human planender Herrschaft aufgeblüht. Sie selbst ist noch per Ring der Erinnerung an den ermordeten Ehemann verhaftet, doch Volk und Staat wollen einen neuen König, die blühende Frau in ihr sehnt sich nach Liebe. Claudia Mahnke verkörpert per se eine „gestandene Frau“, ihr grauer Hosenanzug signalisiert: eine uneitle moderne Präsidentin. Ihr Schwanken zwischen Verunsicherung und Hingabe wurde nachvollziehbar und gipfelte in ihrer Verzweiflung, als Aeneas seinem Auftrag folgt und nach Italien aufbricht. Berlioz hat Dido da eine 25minütige Finalszene komponiert, in der sie alle Stufen der schmerzlichen Verletztheit und der wütenden Verzweiflung bis hin zum Selbstmord auf dem Scheiterhaufen durchläuft: den Schiffen der Trojaner soll er anklagend nachleuchten, Hannibal wird kommen und Rom bedrohen, doch sie bricht mit der Vision des „ewigen Rom“ zusammen. Was Claudia Mahnke mit vielfarbig strömenden Linien und fulminant dramatischen Ausbrüchen da gelang, verursachte im Publikum erst überwältigtes Schweigen und entlud sich dann in einem Jubelsturm.

Wenn Sängerpersönlichkeiten sich in einem Riesenwerk von fast fünf Stunden Musik so entfalten Können, dann ist das auch ein Verdienst des Dirigenten und der von ihm instruierten Korrepetitoren. John Nelson gilt zu Recht als Berlioz-Experte und bewies dies in der expressiven Modernität von Berlioz: die Grandiosität von Meyerbeer-Tableaus mit Sextett, Septett und chorischen Volksmassen, romantische Naturlyrik, fahle Klänge um die hereinwirkenden Götter und Toten, Fernchöre, schwelgerische Süße im Liebesduett von Dido mit Aeneas, dann wieder Bühnenorchester – Nelson führte das über den langen Abend konzentriert und vielfarbig aufspielende Museumsorchester, die von Tilman Michael differenziert einstudierten Klagechöre Trojas wie die mal jubelnden, mal entsetzten Karthager-Chöre, dazu den von Markus Ehmann geführten Kinderchor (insgesamt rund 100 Mitwirkende) und das Solistenensemble souverän.

Neben den zwei Frauen 18 weitere Figuren und kein Schwachpunkt: ein Triumph der Star-unabhängigen Ensemblepolitik, auch wenn der einzige Gast noch dazulernen muss: Bryan Register debütierte in der Riesenpartie des Aeneas; sein Tenor hat Weichheit und Metall; er hat die wuchtige Helden-Figur, agierte aber darstellerisch reichlich spannungslos und ausdrucksarm.

Szenisch ist das Werk eine enorme Herausforderung. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr und Bühnenprofi Jens Kilian setzten auf der größten Drehbühne Europas auf raffinierte Groß- und Kleindreheffekte, die anfangs stupend leicht abstrahierte Herrschaftsräume um 1900 technisch gekonnt herbei- und wegwechselten.

Defizite

Dass Karthago dann in allzu ähnlichem Ambiente spielte, überzeugte weniger. Saskia Rettigs Kurzhosen für Trojas Helden in halb-antiken Schuhwerk befremdeten, Höckmayrs Hinzuerfindungen gerieten zunehmend zum Problem: Die auf der Bühnenarchitektur schlecht wirkenden Videos von Bert Zander und vor allem Martin Dvoƙáks Choreografie für die Geister erinnerten an das böse Bonmot „Wenn Kunst von Wollen käme, hieße sie Wunst“: Beide und auch Höckmayr selbst vertrauten nicht der expressiven Wirkung ihrer exzellenten Solisten – immer noch ein unklar konturierter Geisterauftritt, viel zu viel Meeresbrandungsvideo und noch einmal Video-Geflimmer und wieder ein hanebüchenes Gemisch aus Ausdrucks- und Modern-Dance… all das wurde deklassiert von den sängerdarstellerischen Persönlichkeiten und der musikdramatischen Wucht von Berlioz’ wahrhaft großen Werk.

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