Ein Prinz wird von einem Karottenkönig aus dem Amt gefegt. Es gibt einen guten Geist, einen wohlwollenden Zauberer und eine böse Zauberin, dazu einen aufgeblähten, unfähigen Hofstaat samt Schlachtenminister und Schatzmeister. Jacques Offenbachs „Le Roi Carotte“ frei nach E.T.A. Hoffmanns „Klein Zaches genannt Zinnober“ erforderte bei der Uraufführung 1872 in Paris 22 Bühnenbilder, 200 Akteure und 1000 Kostüme – von Affen bis Ameisen, von Karotten bis Kohlköpfen. Die 2015 wiederentdeckte, neu edierte Opéra-bouffe-féerie ist ein Zwitter aus scharfzüngiger Operette und spektakulärer Märchenoper. Eine Politsatire mit vielen Showeffekten: leicht, elegant und schön absurd.

LE ROI CAROTTE // Alina Sokhna M’Baye, Kinder- und Jugendchor, Opernchor // Foto: Laura Nickel
In Schieflage: Offenbachs „Le Roi Carotte“ am Theater Freiburg
Natürlich schreit die auf Deutsch gespielte Geschichte von Librettist Victorien Sardou (Übersetzung: Jean Abel) geradezu nach Aktualisierung, wenn man auf das derzeitige Weltgeschehen mit seinen politischen Akteuren blickt. Deshalb finden sich in Tilman Knabes Inszenierung am Freiburger Theater jede Menge aktuelle Bezüge – von Schuldenbremse und Sondervermögen bis zu Friedrich Merz‘ „Rambo Zambo“, von Alexander Gaulands „Wir werden sie jagen“ bis zu Donald Trumps „You are fired“. Die Kettensäge von Elon Musk kommt gleich mehrfach zum Einsatz. Aber spritzig wird der Cocktail, den Tilman Knabe zusammenmixt, trotzdem nicht. Dem fast dreieinhalbstündigen Abend fehlt jede Leichtigkeit. Als wäre die Geschichte nicht schon komplex genug, fügt Knabe mit Alina Sokhna M’Baye als X eine zusätzliche Figur ein, die die Kolonialgeschichte aus Sicht einer Betroffenen mit Texten aus Aimé Césaries „Ein Sturm. Stück für ein schwarzes Theater“ (1969) wütend reflektiert. Das ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Die Balance von Text und Musik gerät in Schieflage. Der musikalische Schwung wird immer wieder gegen die Wand gefahren.
In der Ouvertüre ist er noch da. Das Tschingderassa Bumm kommt nicht martialisch daher, sondern elegant. Der Walzer hat Raffinesse. Dirigent Johannes Knapp findet mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg einen so charmanten wie brillanten Operettenton, den er in den virtuosen Zwischenspielen (Violinen!) wieder aufgreift. Leider ist am Premierenabend die Koordination zwischen Orchestergraben und Bühne erstaunlich mangelhaft. Fast jede schnelle Musiknummer braucht ein paar Takte, bis sich alles zurechtgeruckelt hat. Die vielen Tempowechsel funktionieren überhaupt nicht. Der auch darstellerisch agile, musikalisch auf den Punkt singende Kinder- und Jugendchor des Freiburger Theaters (Leitung: Elisa Brunnenkant) ist im dritten Akt beim Ameisenchor perfekt mit dem Orchester zusammen, was man von vielen anderen Chor- und Solonummern leider nicht behaupten kann. Es fehlen Führung im Dirigat und Präzision in der Umsetzung. Und das Maßhalten, was für gelungene musikalische Zuspitzungen unabdingbar ist.
Auch das düstere, dystopische Bühnenbild von Wilfried Buchholz hat nicht den Hauch von Eleganz. In diesem Königreich Krokodyne ist alles verrußt und verrottet. Selbst den Glanz vergangener Zeiten merkt man nicht. Eine armselige Lichterkette – mehr Glamour wird nicht gestattet. In diesem trostlosen Ambiente ist Roberto Gionfriddo ein leicht cholerischer Prinz Fridolin mit blonder Perücke, präsentem Tenor und ausreichend Chefgehabe. Der ihn stürzende König Karotte (leicht übersteuert: Junbum Lee) ist noch ein bisschen durchgeknallter, siehe Kettensäge. Warum das Volk (Chor des Theaters Freiburg: Norbert Kleinschmidt) plötzlich seine Gunst von Fridolin auf König Karotte wendet, erfährt man nicht, obwohl die Produktion laut Werkeinführung genau das beleuchten will. Lila Chrisp ist ein wendiger Robin-Luron als guter Geist mit Baseballmütze und Gelbweste (Kostüme: Eva-Mareike Uhlig), Maeve Höglund eine temperamentvolle Prinzessin Kunigunde mit Lederjacke und viel Sopranpower, Sara De Franco eine ganz lyrische Rosée-Du-Soir-Roland. Martin Müller-Reisinger übertreibt in seinen zahlreichen Schauspielrollen als senil-brüllender Zauberer Quiribibi oder laut grantelnde Kinderbetreuerin mit Wiener Schmäh. Wie überhaupt diese Überdeutlichkeit das Hauptmanko von Knabes Inszenierung ist.
Das betrifft auch die präsente Alina Sokhna M’Baye als X, die mit Truck als feister Europäer (souverän: Jakob Kunath) leidenschaftlich über den Kolonialismus streitet, sich kopfüber an einem Vertikaltuch bewegt – diese Szene sorgt für einen der wenigen berührenden Momente – oder am Ende in einem Kettensägenmassaker hinter der Bühne Fridolin niedermetzelt, bevor sie mit blutverspritztem Oberteil zurückkehrt und die Revolution in den Zuschauerraum bringt. Das Lachen soll im Hals stecken bleiben, möchte der Regisseur wohl damit sagen. Aber dafür hätte man vorher erstmal lachen müssen.
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!