Jazz und überhaupt populäre Musik hat in deren Komponieren einen gleichermaßen hohen Stellenwert: kompositorisch filternde Antwort auf die Tatsache, dass Musik „heute überall und immerzu tönt“ (Mason). Aus Lebensrealitäten beziehen alle drei auch ihre Opernstoffe. Mit „Powder her Face“, der Vertonung eines Sexskandals in Londoner Adelskreisen der fünfziger Jahre, wagte sich Adès tief in Englands geliebt-berüchtigte gelbe Druckseiten hinein (deutsche Erstaufführung in Magdeburg 1996).
Mit seiner gestisch stark überzeichneten Chamber Symphony op. 2 fügt sich der Londoner Thomas Adès, Jahrgang 1971, neben Mark Anthony Turnage und Benedict Mason bruchlos in die seit einiger Zeit in Deutschland vielbeachtete Trias englischer Komponisten ein. Jazz und überhaupt populäre Musik hat in deren Komponieren einen gleichermaßen hohen Stellenwert: kompositorisch filternde Antwort auf die Tatsache, dass Musik „heute überall und immerzu tönt“ (Mason). Aus Lebensrealitäten beziehen alle drei auch ihre Opernstoffe. Mit „Powder her Face“, der Vertonung eines Sexskandals in Londoner Adelskreisen der fünfziger Jahre, wagte sich Adès tief in Englands geliebt-berüchtigte gelbe Druckseiten hinein (deutsche Erstaufführung in Magdeburg 1996). Ein Tango-Orchester stand hier klanglich gleichwertig neben einem vom Saxophon dominierten Theaterorchester mit Bassklarinette und viel Perkussion. Beim Adès-Porträt-Konzert mit dem Ensemble Modern in Frankfurts Alter Oper, nach Wien und Antwerpen Zwischenstation auf dem Weg nach Madrid, dirigierte der Komponist seine schillernden Werke mit beschwörender Gestik und weit ausholender Armbewegung. In den klanglich wuchtigsten Momenten ähnelte er von Statur und Gesichtsausdruck her, nur etwas kleiner, dem Sanitäreinrichtungen aus der Wand reißenden Indianer in „Einer flog übers Kuckucksnest“. Immerhin löst Adès mit seinem Stil- und Genregrenzen überschreitenden Komponieren auch vermeintlich feste kulturelle Installationen aus ihrer sozialen Verankerung. Zwar betreibt er in seiner Kammersymphonie keine Umwertung aller Werte, doch werden den im ersten Moment vertrauten klanglichen Mitteln neue Rollen zugeordnet. Der Swing des Beckens fängt an zu stottern, ist nur noch ein scheppernder Tonklecks. Die Basslinie begleitet nichts und die grellen Bläserharmonien legen keine aufgerauten Jazzakkorde vor, sondern formulieren lautstark einen ungewohnten Melodieführungsanspruch. Hier gibt es weder von den instrumentalen Funktionen her, noch sozial ein oben und unten.Über dem wuseligen Linienspiel des kleinen Orchesters treten Melodien auf der Stelle, die wie Frank Zappas scharnierhafte Marimba-Breaks auf dessen Album „I hate Jazz“ klingen: rhythmische Bewegung ohne Melisma. Adès dagegen zappt sich durch die Musiken. In diesem musikpluralen Konzept richtet sich das Montageprinzip und der klangliche Verfremdungseffekt wieder auf das Subjekt. Was ganz weit in die Ferne gerückt zu sein scheint, ist heute authentischer Ausdruck und der Reflex unmittelbarer Sinneswahrnehmung ohne porentiefes Pathos.
In der achtsätzigen Komposition „Living Toys“ für vierzehn Musiker wird das Orchester und überhaupt Musik nurmehr als Sample, als vorgefertigte Klangschablone, verwendet. Adès spielt gewissermaßen auf dem Tutti-Klang wie auf einem Orgelmanual. Mit schlangenhaft raschelnden Kastagnetten und triolischen Trompeten wird zwar ein mediterranes Kolorit evoziert, das jedoch nur als eine von ganz vielen möglichen Registrierungen.
Wo die Musik letztlich spielt, bleibt offen. Gleiches gilt für die virtuose Klavierkomposition „Traced Overhead“, in Frankfurt gespielt vom Komponisten. Zwischen Ornament und Hauptnote wird hier nicht unterschieden. Die perlenden Linien ändern ständig ihre Richtung. Der vergrößerte Ausschnitt einer Zugabe mit virtuoser Klaviermusik des 19. Jahrhunderts könnte genauso gut seine Wurzeln in den Soloimprovisationen von Keith Jarrett haben. „Ich mag Jazz“, mehr wollte Adès zu seiner Musik nicht sagen.