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Herausragende Leistung des Bremer Opernchores: Szene aus  Jörn Arneckes Oper „Kryos“. Foto: Jörg Landsberg
Herausragende Leistung des Bremer Opernchores: Szene aus Jörn Arneckes Oper „Kryos“. Foto: Jörg Landsberg
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Schöner neuer Spektralklang

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Zur Uraufführung von Jörn Arneckes Oper „Kryos“ am Theater Bremen
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Zweifellos ein Thema, sogar ein gutes: Im 23. Jahrhundert hat sich nach der Klimakatastrophe eine kleine Gruppe von Menschen auf die Insel Kryos gerettet und lebt unter strengen und vollkommen liebesfernen Technik- und Moralritualen – Konformität im Verhalten und Verwaltung von Geburt und Sterben binden die Menschen aneinander, die ihren sozialen Höhepunkt im sogenannten „Spektralklang“ erleben und feiern, der nach dem abgeschafften Gott auch das religiöse Symbol ist. Das meint den Klang, in dem alle und damit jede Stimme eine bedeutende Rolle spielen, sonst kommt der Klang nicht zustande. „Kryos“ ist das griechische Wort für „Eis“ und „Kälte“.

Ein Fremder kommt, der Stimmen im Berg hört und vor einer weiteren Katatrophe warnt. Er wird aus der Gastgemeinschaft, die keine Infragestellung ihrer „Stabilität und Harmonie“ erlaubt, als Störenfried ausgeschlossen. Mit ihm geht die Tochter des Chefadministrators, Maja, die sich – unerlaubterweise – in ihn verliebt hat, und zurück bleibt trauernd die andere Protestierende Suna, die sich der künstlichen Befruchtung zur Planung bestimmter Menschen verweigert. Das Ende bleibt offen. Ein realistisches Sujet, das an Aldous Huxleys „Brave New World“ von 1932 erinnert.

Der 1973 geborene Jörn Arnecke hat 2007 ein Auftragswerk für die Ruhrtriennale geschrieben: „Unter Eis“ – sein zehntes Stück für Musiktheater. Auch da ist sein Thema die Verformung und Zerstörung des Menschen zugunsten ­einer diffusen Lebenseffizienz. Diesmal kam der Auftrag vom Theater Bremen, dem ein Sonderlob gebührt für die Verantwortlichkeit der Staats­theater, zeitgenössische Musik zu spielen. Mit dem bohrend-intensiven Dirigat von Markus Poschner mit den Bremer Philharmonikern, der geschmackvollen Regie von Philipp Himmelmann, dem symbolträchtigen Bühnenbild von Raimund Bauer, den bedrückenden Kostümen von Katherina Kopp und den Sängern Nadine Lehner (Suna), Tamara Klivadenko (Maja), Loren Lang (Nono) und Christian-Andreas Engelhardt (Toru) traten Künstler an, für die man sich keine Steigerung vorstellen kann. Mit dem Auftritt des Fremden, dessen Stimme „ohne Klang“ ist, wie ihm die Kryos-Bewohner vorwerfen, hätte der Schauspieler Uwe Kramer mehr innerliches Geheimnis gestalten können. Aber alle sicherten einen insgesamt spannenden, in der Premiere anhaltend applaudierten Abend.

Letztendlich aber hält das Werk nicht, was es verspricht. Da ist einmal das doch recht platte Libretto von Hannah Dübgen. Die Spannung, die sich aus dem Einbruch des Fremden und dem Widerstand der beiden Frauen ergeben könnte, gewinnt kaum je richtige Durchschlagskraft. Zu dünn ist der Text und auch zu dünn die Rolle des nicht singenden Fremden. Und es passiert auch nichts durch die Musik, die immer gekonnt klingt, aber seltsam wenig charakteristische ­Power hat und ganz einfach schön, aber brav bleibt. So vorwärtsgewandt der Text sich gibt, so rückwärtsgewandt bleibt das musikalische Material: expressionistische Wohlklänge, mehr oder weniger aufregende Klangteppiche, ohne Ende tonale schöne Melodien (besonders das Horn), ohne dass man deren Sinn begreift, grelle Unisoni, sich eindrucksvoll heraufschraubende Orchester„massen“. Das größte Problem bleibt der Einsatz des Begriffes „Spektralklang“, was musiktheoretisch eine Isolierung der Obertöne mit ihren immer kleiner werdenden Intervallen bis zu Vierteltönen und mit ihren Transformationen meint. Diesen Klang gibt es in der Neuen Musik tatsächlich, vor allem bei Arneckes bedeutendem Lehrer Gérard Grisey. Er hat jedoch mit dem leuchtenden, geradezu tonal wirkenden Fortissimo in der Oper nichts Erkennbares zu tun, obschon Arnecke ihn dramaturgisch für seine Idee der konformen Gesellschaft einsetzt.

Das Bühnenbild ist berauschend: 26.000 Flaschen, zum Teil mit Wasser gefüllt, erzeugen an drei Seiten einen unbeschreiblich irritierenden und mitreißenden Glanz, der allein geeignet wäre, die Idee des heidnischen Festes zu überbringen. Auch die Regie von Philipp Himmelmann kann mit überzeugenden Ideen aufwarten: Die Menschen bewegen sich andauernd gleich, geraten erst in individuelle Bewegung, als Maja in dem Klang fehlt und nach ihr gesucht wird. Das immer gleiche Grinsen der Kryos-Bewohner, das der Fremde verzweifelt karikiert, wirkt bedrückend. Tamara Klivadenko als Maja zeigt ein auch stimmlich überzeugend differenziertes Doppelleben, Nadine Lehner hat das richtige Potential zum Widerstand durch die einmalige Klangschönheit ihrer Stimme. Loren Lang als Nono beißt sich grinsend durch den Abend, und Christian-Andreas Engelhardt ist als opportunistischer Toru ein greller Charaktertenor. Riesenleistung vom Chor, dessen einzelne Mitglieder in diesem Stück trotz der uniformen Anlage eine Individualität des Umganges damit haben dürfen: Das ist von Himmelmann überzeugend angelegt.

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