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Foto: Ann Mackinnon
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Schönes wildes Insektenleben – Das Isny Opernfestival gastiert mit Haas’ „Šarlatán“ in München

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Mit einer Vorstellung jährlich gastiert das Isny Opernfestival traditionsgemäß in München. Weil die erste Terminierung im Juni wegen der Pandemie nicht zu halten war, gelangte die Oper „Šarlatán“ (Scharlatan) des 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zu Tode gekommenen Pavel Haas erst im August in Isny und in der Münchner Allerheiligenhofkirche zur Aufführung. Die musikalische Leistung machte rundum guten, substanzreichen Eindruck.

Sonst greift Festivalleiter Hans-Christian Hauser gern zu großen Opern wie Rossinis „Guillaume Tell“ oder Operetten wie „Der Vetter aus Dingsda“ – und immer wieder zu Stücken des slawischen Fachs, das er neben der Musik jüdischer Komponisten mit Leidenschaft auch in seiner Interpretationsklasse an der Münchner Hochschule für Musik und Theater vermittelt. Insofern gehört die 1938 am Nationaltheater Brünn aufgeführte Oper „Šarlatán“ (Scharlatan) von Pavel Haas zu seinen Kernanliegen. Mit Genehmigung von Boosey erstellte Hauser ein Arrangement der Partitur für knapp über 20 Musiker*innen. Er behielt die üppigen Bläsersätze bei und verschlankte die Streichergruppe auf ein Quintett.

Anders als im Fall von Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“ oder den Opern von Berthold Goldschmidt verebbte der erst starke Wiederentdeckungserfolg von Haas’ Oper um die Doktor-Eisenbart-Figur Pustebalg vor etwa einem Jahrzehnt. Dieser sprichwörtliche Arzt, Ausreißer und Abenteurer hat Herz und Schnauze auf dem rechten Fleck und durchzieht mit seinem Anhängertross die Lande. Obwohl verheiratet mit Rozina, genießt er eigentlich der Ehe vorbehaltene Freuden auch mit der von ihm kurierten Amaranta. Szenisch und musikalisch geht es bunt und burlesk zu, bis Pustebalg einen Mönch nicht zu heilen vermag. Deshalb verliert er beim Volk die Gunst, die er bei den Herrschenden nie hatte, und stirbt im Kreis seiner letzten Anhänger.

Gut gelingt in der Allerheiligenhofkirche die musikalische Lebendigkeit der Partitur – die schön schräg klingt wie Strawinsky, teils schwelgerisch wie Janacek und an diesem Abend stellenweise sogar bombastisch wie Respighi. Für letzteres kann der die musikalische und szenische Gesamtleitung innehabende Hauser nichts. Die Akustik des Raums bläst den eh schon dichten, bläserlastigen Orchesterklang noch mehr auf und macht es den Sängern auf dem Altar recht schwer. Volumen und Hall machen rätseln, ob die Aufführung in deutscher – so ist es – oder tschechischer Sprache erklingt. Für die Hauptpartien hat das 33. Opernfestival Isny, das sich als Bewährungsort für junge Berufseinsteiger versteht, rundum gute bis glänzende Solisten beisammen: Die Titelpartie des für „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ausgewählten Stücks wurde aufgeteilt unter den drei Baritonen Serguei Afonin, Zhou Xinhang und Marek Pavliċek. Das Schwirrende, immer etwas Quecksilbrige der wendigen und dabei prallen ‚Volksfigur‘ würde im Triumvirat noch deutlicher, wenn es im hohen Karton auf der Spielfläche nicht eh schon heftigst rauschen und klappern würde. Die drei haben alle erforderlichen innigen, verschlagenen, kraftmeierischen Töne und auch die Kondition für den geforderten Körpereinsatz.

Man erkennt im Münchner Kirchenraum, dass das Krabbeln und Hopsen eigentlich für eine Freilichtbühne ersonnen wurde. Aus der Menschen- wurde eine Insektensphäre. Auch die starke Frau Rozina (Elsa Kodela) und Aleksandra Stankovicals als – im übertragenen Sinne – bombiges Bienchen Amaranta sumsen und springen. Des Tanzens und Wackelns mit den Fühlern und deren Regenbogenfarben-Glühbirnen ist kein Ende. Den Solisten- und Bewegungschor bereichern Yurii Strakhov (Mönch), Mladen Prodan (Quacksalber Scheusal), David Krahl (Rollmops), Angelo Le Gall (Seiltänzer), Martin Höhler (Bakkalaureus) und Oleg Tynkov (Schlangenbeschwörer). Dass die meisten mehrere Partien singen wird nicht so ganz deutlich. Die ernsten, ja existenziellen Handlungs- und Schicksalsschübe erschließen sich vor allem aus der profunden Synopsis von Musik- und Szenengeschehen im Festspielalmanach.

Man sollte es dem mit humaner Ernsthaftigkeit, Prägnanz und Passion koordinierenden Hauser nicht vorwerfen, dass der Absturz in die Schattenseiten und Abgründe diesmal nicht so recht zur Geltung kommt. Bis zum Schluss der Oper klappert aus Haas’ Partitur dafür die wilde und trotzdem musikalisch toppsichere, reiche und pralle Daseinslust. Die Bläserfülle der Besetzung rückt den Abend zwischen die Kategorien ‚dionysisch‘ und ‚energisch‘. Auch diese affirmativen Kunst- und Daseinsenergien gehören zum jüdischen Leben in Deutschland, unbedingt.

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