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Uraufführung des „Lageder Oktetts“ von Gregor Mayrhofer durch Mitglieder des Münchener Kammerorchesters.  Foto: Florian Ganslmeier
Uraufführung des „Lageder Oktetts“ von Gregor Mayrhofer durch Mitglieder des Münchener Kammerorchesters. Foto: Florian Ganslmeier
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Schönheit für Fortgeschrittene

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Neues Musikfest in Neuburg an der Donau
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Gibt es den idealen Termin für Festivals der klassischeren Art? Im Grenzland zwischen Bayern und Franken, in der pittoresken Renaissancestadt Neuburg an der Donau, westlich von Ingolstadt, haben sich der renommierte Komponist Tobias PM Schneid, der PR-Fachmann Johannes Seifert, die Kulturmanagerin Katrin Beck und die zwei Mitglieder des Münchener Kammerorchesters Stefan Schneider und Kelvin Hawthorne, so scheint es, genau diese Frage gestellt und sind aufgrund von Vermeidung von Terminüberschneidungen mit anderen bereits etablierten Kulturveranstaltungen vor Ort auf die eher durch keine oder Passionsmusik gekennzeichnete Fastenzeit zwischen Fasching und Ostern gekommen.

Mit der ersten Auflage ihres Anfang März platzierten Festivals „NEUBURGMUSIK“ schafften sie auf Anhieb mehr oder weniger die Quadratur des Kreises: Sehr gut besuchte Konzerte auf höchstem internationalen Niveau – dank Kammermusik – was hier, als „eigentliche“ Musik verstanden, wieder wunderbar zur Fastenzeit mit ihrer Abkehr vom Üppigen passt! Dessen waren sich die Festivalmacher gar nicht bewusst, das sollten sie sich aber hinter die Ohren schreiben und genau damit werben.
Von Franz Hummels – der wird 2019 achtzig – seinerzeit sehr erfolgreichem „Sinfonischen Sommer Riedenburg“ im Altmühltal rund um Mariä Himmelfahrt während der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts kann gelernt werden, dass zeitgenössische Musik immer dann auch in der Provinz gut ankommt, wenn Klassiker wie Beet-hoven vorab die Ohren geöffnet haben, so auch jetzt in Neuburg mit Mozart, Beethoven und Schubert, denen avancierte Werke von Thomas Adès, Markus Stockhausen, Jörg Widmann und Gregor Mayrhofer folgten. Markus Stockhausen und Gregor Mayrhofer konnten gar Kompositionsaufträge für Neuburg erteilt werden. Also fehlte auch das magische Wort „Uraufführung“ nicht im informativen Programmheft. Mit dem Trompeter und Komponisten Markus Stockhausen, Sohn von Karlheinz, konnte gleichzeitig eine gewisse „in residence“-Atmosphäre geschaffen werden.

Er gab am zweiten Konzertabend gemeinsam mit dem Pianisten Florian Weber gewissermaßen einen nachhaltig wirkenden konzertanten Kurs in „Schönheit für Fortgeschrittene“. Mit Markus Stockhausen, Jahrgang 1957, war genau derjenige Komponist zu Gast, der die Programm- intention einer befruchtenden Begegnung von anspruchsvoller und raumgreifender klassischer Kammermusik mit ebenso anspruchsvoll-hörbarer zeitgenössischer Musik, ganz egal, ob man die nun „Neue“ nennt oder Jazz, wie kein anderer verkörpert. Gemeinsam mit dem sehr einfühlsam impressionistischen Klavierkünstler Florian Weber ließ Stockhausen seine sensationell intonationssicheren Melodiegirlanden im Wissen um die Klangqualitäten der klassischen Intervalle frei sprießen. Bernstein‘sche Sehnsuchtsmotivik paarte sich hier mit Vater Karlheinz’ berühmten „Tierkreisen“ zu einer tatsächlichen und von Markus Stockhausen auch geforderten musikalischen Freiheit, die in ein klangliches Paradies führt, wo einem die sensibel gestalteten Tontrauben ins Gehör schweben.

Oder anders gesprochen: Markus Stockhausen, der zwei Drittel des Konzerts in den höchsten schwierigen Lagen der Normaltrompete, Soprantrompete und dem Flügelhorn bezaubernd spielerisch blies, möchte nirgendwo anders sein als bei sich selbst. Er braucht keine Superformel. Das klang echt super! In der Uraufführung seiner durch, wie er es nennt, „Instant-Composing“-Abschnitte gegliederten „Perspectives of Perception“ für Kammerensemble konnten die Musiker des Münchener Kammerorchesters nach einem wirklich allerfeinste klassische Klangbalancen und Homogenität fordernden, selten gespielten Septett op. 20 von Beethoven den wilden Panther aus sich herauslassen, was ganz erfreulicherweise dann auch wieder etwas klassisch nach Free-Jazz klang, aber ohne dessen damaligen Heiligen Zorn deutscher Spielart. Dafür fehlte ihnen auch der obligatorische Bürstenhaarschnitt. Mit Jörg Widmanns folgendem, ausdrucksstarkem „Oktett“ (2004) konnten die Solisten des Münchener Kammerorchester einmal mehr zeigen, dass sie Widmanns  aktualisierte Schubertsche Brüchigkeit als einen schwebenden Zustand von Gefährdung durch permanente klangliche Psychologisierung jederzeit hervorragend meistern.

Der gerade künstlerisch einen Lauf habende Gregor Mayrhofer, Jahrgang 1987, setzte in der Uraufführung seines mitreißenden „Lageder Oktetts“ auf Rhythmus und Figuration sowie auf innehaltende Hornlinien, die zu Recht auf die philosophischen Anrufungen des folgenden Oktetts F-Dur von Franz Schubert vorbereiteten. Auch hier modellierten die Musiker des Münchener Kammerorchesters plastisch greifbare Klangbilder, die unmittelbar berührten.

Gratisberatung: Ein Kompositionswettbewerb kostet nicht viel und sorgt übers Jahr für Öffentlichkeit durch Ausschreibung, Einsendungen, Jurybenennungen, Bekanntgabe der Preisträger/-innen und natürlich das Preisträgerkonzert im Festival. Wenn jetzt noch die Kirche mit neuerer geistlicher Musik mit im Boot wäre, dann kann für die Kommune und alle anderen Beteiligten wie das Münchener Kammerorchester ein erheblicher Mehrwert erwirtschaftet und auch etwas am Rad der Musikgeschichte mitgedreht werden. Im Rathaus sollte man bedenken: Neuburg wird bald Universitätsstadt mit mehr Mittelschicht und damit auch Studentenstadt mit jungen international geprägten Menschen sein. Als Ableger der Technischen Hochschule Ingolstadt erhält Neuburg einen Campus. Das hat der Ministerrat gerade im Februar beschlossen.

Dann braucht es für die neuen Städtebewohner und kommunalen Wähler gerade solche attraktiven, identitätsstiftenden und auch zumindest national vergleichbaren Kulturangebote wie die ausbaufähige NEUBURGMUSIK zur Fastenzeit als Investition in die Zukunft.

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