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Beethoven Orchester Bonn © nodesign

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„Schützt eure Liebsten!“ – Das Beethoven Orchester auf Konzertreise in Polen

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„Slava Ukraini!“ Nachdem Dirk Kaftan seine improvisierte Einführung vor der Schauspielmusik zu Egmond von Ludwig van Beethoven beendet hatte, konnte ein Besucher des Konzertes in der Warschauer Nationalphilharmonie offenbar nicht mehr an sich halten und ließ sich spontan zu einem Zwischenruf hinreißen.

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Kaftan hatte aus der Not eine Tugend gemacht, da sich polnische Übertitel kurzfristig nur zu den gesungenen Teilen, nicht aber zum Part des Sprechers realisieren ließen. Das hatte zur Folge, dass ein Großteil des Publikums den deutschen Text nicht verstanden haben dürfte, was der Generalmusikdirektor des Beethoven Orchesters nicht auf sich sitzen lassen wollte. Also machte Kaftan kurzerhand aus der Not eine Tugend, lieferte auf Englisch ein dramaturgisches Abstract des selten in Gänze aufgeführten Werkes und tat das offenbar so überzeugend, dass nicht nur der Zwischenruf kam, sondern das Beethoven Orchester geradezu befeuert wurde, Beethovens Soundtrack zu Goethes Freiheitsdrama zu einem regelrechten Triumph werden zu lassen. 

Das Orchester nutzte jedenfalls das Momentum und spielte wie entfesselt, so dass die existentielle und tatsächlich ungemein aktuelle Bedeutung dieses Themas unmittelbar hör- und erfahrbar wurde. „Celebrate Freedom“, so lautete die Quintessenz des flammenden Appells von Kaftan, denn der Held ist am Ende zwar tot, seine Ideen aber leben weiter. 

Das Publikum war restlos begeistert, wie schon am Abend zuvor in Krakau, der ersten Station auf der Polen-Reise des Orchesters. Dort hatte man das Publikum in der Karol Szymanowski Philharmonie zu Standing Ovations hingerissen und auch in der Warschauer Nationalphilharmonie, wo man im Rahmen des 29. Beethoven Festivals gastierte, war die Begeisterung groß. Das lag aber nicht nur an der grandiosen Leistung des Orchesters, sondern auch an einer phänomenalen Christina Landshamer, die den Part des kämpferischen Klärchen übernommen hatte, und dem den Text trotz der Sprachbarriere nicht weniger eindringlich und prägnant rezitierenden Sprecher Franz Tscherne.

Auf dem Reiseprogramm stand nicht nur Beethoven, mit dessen dritter Leonorenouvertüre man das Programm energiegeladen eröffnet hatte, sondern auch die sechste Symphonie „Chinesische Lieder“ von Krzystof Penderecki. Das war ein ausdrücklicher Wunsch des Veranstalters des seit 1997 stattfindenden Beethoven Festivals. In dem achtsätzigen Werk „mahlert“ es unverkennbar, was nicht nur an den Nachdichtungen chinesischer Lyrik durch Hans Bethge liegt, bei dem sich auch Gustav Mahler für sein „Lied von der Erde“ bedient hat. Pendereckis „Sechste“ ist eines seiner letzten vollendeten Werke, ein Dokument des Wandels des einstigen Avantgardisten zu fast schon spätromantisch anmutender Opulenz. Trotz des reichhaltigen Klangbilds gibt es hier aber auch sehr feingliedrige, fast schon kammermusikalische und delikate Strukturen, die Dirk Kaftan und das Beethoven Orchester sehr sorgfältig freilegten. 

Für einen Hauch Lokalkolorit sorgen hier unter anderem Zwischenspiele, die auf der Erhu erklingen, einer gestrichenen Röhrenspießlaute mit Metallsaiten. Für ihrem aparten, aber auch recht durchdringenden Klang war Joanna Kravchenko verantwortlich, die eine gefragte Spezialistin für dieses exotische Instrument ist. Den Vokalpart hatte Thomas E. Bauer übernommen: sonor, expressiv, überaus wohlklingend und suggestiv gestaltete er seine Partie, so dass am Ende eine beeindruckende, zutiefst bewegende Wiedergabe von Pendereckis „Sechster“ stand. Der Meinung war auch Elżbieta Penderecka, die Witwe des Komponisten, die nach dem Warschauer Konzert gar nicht aufhören wollte, dem Beethoven Orchester für seine brillanten Konzerte zu danken. Sie zeigte sich tief bewegt, erzählte von der letzten Zeit ihres Mannes und von seinen Bemühungen, doch noch eine neunte Symphonie zu schreiben, die er nach eigenen Worten schon im Kopf hatte, aber nicht mehr aufschreiben konnte. Nach seinem Tod im März 2020 fand sie dann ein Notenblatt mit der entsprechenden Aufschrift – aber keiner einzigen Note darauf. 

Am Ende sprach Penderecka eine erneute Einladung für das Orchester aus, das seiner Rolle als kultureller Botschafter Europas mit zwei erfolgreichen Konzerten wieder vollumfänglich gerecht wurde. Beide Konzerte rissen das begeisterte Publikum mit und waren gerade in diesen bewegten Zeiten ein ermutigendes Zeichen für kulturellen Austausch und musikalische Verständigung über alle Grenzen hinweg – ein hohes Gut nicht zuletzt angesichts der aktuellen politischen Lage. Da hallten durchaus die letzten Worte Egmonds nach, der seinen Getreuen vor seiner Hinrichtung noch eines zurief: „Schützt eure Liebsten!“