Sie wird seit geraumer Zeit als Tipp gehandelt, man vergleicht sie mit Björk. Die junge, aus Brasilien stammende Sängerin Dillon. Für ihren Auftritt im Haus der Berliner Festspiele hat sie sich einen Chor hinzugesellt: 16 Sängerinnen und Sänger. Und Nebel und Stroboskop. Und d-Moll! Oder e-Moll.
Man kann sich nicht vorstellen, wie der Vergleich von Dillon mit Björk zustande gekommen ist, beide können sie ja nichts dafür. Vergleiche sind häufig hinkend und wenn man einen bemühen wollte, so wäre es einer zwischen Instant-Tütensuppe und einem musikalisch-kulinarischen Menü. Dillons bevorzugte Beleuchtung für den Auftritt ist das Gegenlicht. Die Scheinwerfer stehen hinter ihr, dem Chor und dem Mann an den Electronics. Den wabernden Nebelschwaden bekommt das gut. Dazwischen, gelegentlich, im Takt der Rhythmusmaschine auch mal der Einsatz von Stroboskopen. Fast zu viel Energie, blendend, wo die Musik doch auf der Stelle tritt. Vorherrschend Repetitionstönen im und auf den Takt, die gerne in Quinte und Oktave ausweichen, mal auch kreisend um dünne Grundtöne der ab und zu hauchig-knarzenden Stimme, die in den ersten Stücken ungewollt mikrotonale Akzidentien erzeugt. Harmonisch kugellagernd auf immergleichen Moll-Akkorden und diese selten gebrochen. Das Gespinst ist brüchig wie musikalischer Beton.
Brüchig wie musikalischer Beton
Dann setzt hin und wieder der Chor ein: Im gleichen Akkordgefälle, statt lalala ein a-a-a. Düster auch dies. Die Choristinnen stehen in zwei Gruppen aufgeteilt, dunkel gekleidet. Eine Leere schwallt heraus. Es ist ein bisschen wie im Jugendgottesdienst; beim aktuellen „Hit“ soll das Publikum mitsingen: „Tip Tapping“ – das fällt nicht schwer. Im Publikum, gefühlt und gefüllt mit 20- bis 35-jährigen sitzen wesentlich mehr Frauen. Der Tonsatz stellt die Hörendengemeinde vor keine Probleme – man ist schließlich mit Schnappi, dem Krokodil aufgewachsen.
Das Publikum bejubelt die Sängerin und sich selbst heftig nach jedem Stückchen der Klangschnitten. Bevor man ins nächste Stück und damit ins nächste musikalische Koma fällt. Auf der akustischen Gegenseite steht der Mann am Pult (Tamer Fahri Özgönenc), der Industrial-Sounds abruft und der brüchigen Stimme von Dillon mit tiefen Sounds ein fundamentales Klangbett schenkt, oder wie beim besten Stück des Abend, des ersten, einen geradezu waghalsigen Puls injiziert. Der Rest des Abends läuft wie am Schnürchen und mechanisch. Das verleiht dem Ereignis etwas Rauschhaftes, aber zur Stereotype wird auch das. Nicht minimalistisch kann man das nennen, sondern als Produktion leerer Gesten. Applaus! Und wieder Gegenlicht und wieder ein Mollakkord, der mit einer kleinen Sexte angespalten wird. Eine sparsame Körperdrehung seitwärts, eine Laola-Bewegung durch den Körper, Rückdrehung und die Finger knallen wieder auf die Tastatur des elektrischen Pianos, den Moll-Akkord in Grundstellung finden sie blind.
Geschmacksneutral
Es ist alles das so freudlos ohne dass daraus etwas erwüchse, was die Härte des leeren Lebens in irgendeiner Weise reflektieren könnte. Da ist zu viel Wollen drinnen bei ungenügendem Können. Die musikalische Suppe wird mit der Zeit fader und geschmacksneutraler. Die Gestaltung des Chorsatzes verstärkt diese Schwäche und die Liebstöckel-Infusionen vom Electronics-Mann helfen wenig (Maggi für musikalisches Grau bleibt wirkungslos).
So wabert es bis zu den zwei Zugaben über 70 Minuten dahin, die Nebel verziehen sich kaum. Draußen geht ein Regenguss nieder und spült das Gehörte in die Kanäle, Gewitter toben und Blitze erleuchten die in den Werbemodus verfallene Stadt. Die Natur bringt einen wieder in ihre Gewalt, verschwunden die künstlichen Aromen der Dillon-Welt, das Genlabor des Pops ist schlecht besetzt gewesen, die Forschung scheint noch in den Anfängen und Fehler passieren. Dem Publikum war es schnurz: Es greift in Klangregal und konsumiert sich wippend ins selbstgewählte akustische Jammerland.