Vor genau 100 Jahren hatte Leoš Janáček seine Oper „Das schlaue Füchslein“ fertiggestellt. Schon im Folgejahr war dann in Brünn die Uraufführung. Noch immer fasziniert sie und wird trotz oder wegen ihrer ganz besonderen Art, Menschliches und Tierisches zusammenzubringen, viel aufgeführt. (Die NMZ berichtete im letzte Jahr von drei Inszenierungen, in Gelsenkirchen, Chemnitz und München.) Eine wie ein Comic erzählte Fabel in einer Brünner Tageszeitung ist die Grundlage für Janáčeks selbst gefertigtes Libretto, das den ewigen Kreislauf von Geburt, Leben und Vergehen thematisiert, zu sehen und zu erleben eindrucksvoll im Wald. Er wird zum Urbild eines lebendigen Organismus.
Das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin bemühte sich nun ebenfalls um das Werk (Premiere: 11. März 2023) und verwirrte gehörig, nicht allein deshalb, weil das Schlimmste eintrat, was dem Theater bei einer Premiere passieren kann: der Hauptdarsteller erkrankt. Es war ausgerechnet der, der den Förster singen sollte, der fast unentwegt in die Handlung verwoben ist. Hilfe brachte der Bariton Grzegorz Sobczak, der in Rostock die Rolle gespielt hatte.
Unglück im Glück war aber, dass es mehrere Text- und Musikvarianten gibt. Janáčeks Erstfassung nutzt das Tschechische. Deren eigene Sprachmelodie soll Janáček als ein stilprägendes Element in seinen Gesangsbögen genau nachgezeichnet haben. Obwohl überliefert ist, dass er das Deutsche gar nicht mochte, obwohl er auch in Leipzig studiert hatte, schuf er dennoch zusammen mit Max Brod, dem Dichter und Kafka-Freund, eine deutschsprachige Fassung, die nicht nur Inhaltliches veränderte, auch an einigen Stellen die Sprachmelodie. Das zwang Janáček, auch im Orchestralen zu retuschieren. Dies alles konnte der Einspringer in Schwerin, der erst zur Generalprobe kam, nicht neu lernen. Um die Premiere zu retten, waren deshalb ein paar Irritationen nicht zu vermeiden.
Verwirrung
Dennoch, die Aufführung war gerettet. Doch auch sie verwirrte gehörig. Statt einer Szenerie mit organischem Leben erblickte der Besucher eine, die nach Weltuntergang roch, die aussah wie Wälder in überfluteten Seen. Die Bäume rechts und links bestanden nur aus nackten, hoch aufragenden Fichtenstämmen, und mit ihnen konkurrierten Telefonmasten, von denen die Kabel herabhingen. Gras gab es nicht, dafür auf dem Boden Lumpen, als ob sie angeschwemmt wären. In der Mitte stieg ein stufenförmiger Kegel empor, der von einer braunen Jurte gekrönt war. Rechts lag ein ramponierter U-Bahnwagen, in der Mitte aufgerissen, mit heilen Fenstern und drei intakten Heckleuchten. Links schien der Wald dichter, optisch kaum zu durchdringen, rechts war er lichter. Der mittlere Bereich wurde auf der Drehbühne herumgefahren, musste mit minimalen Veränderungen Dachshöhle, Schenkstube oder Fuchsbau sein. Noch mehr verwirrte, dass der Zuschauer sich vor einem Großaquarium zu sitzen wähnte. Riesenquallen glitten im Hintergrund hoch, ein weißer Riesenwels schwamm stoisch umher. Vier Puppenspieler bewegten ihn. Irgendwann wurde er getötet und sein Kadaver lag im Vordergrund, roch dennoch nicht nach Fäulnis. Wir verraten es: zum Schluss kamen nämlich die Puppenspieler zurück und lassen den Wels stoisch davonschwimmen.
War das ein Szenario für eine Naturerzählung, wie Janáček sie sich vorstellte? Weder realistisch noch irgendwie plausibel verwirrte die düstere Wasserwelt, in der Lungenwesen wie Mensch und Fuchs, Dachs und Hühner ihr Spiel trieben. Das Regieteam aus Thomas Helmut Heep und Maximilian von Mayenburg hatte sich dieses Bühnenbildspektakel erdacht – oder es zugelassen – und damit gearbeitet. Es hielt den Besucher zwar in Atem, das aber, was Janáček wollte, wurde einfach versenkt. Er wollte vielleicht das Leben in einer durch Menschen gefährdeten Umwelt, wenn es solch ein Denken damals schon gab. Sicher aber ist, dass er den sich ständig erneuernden Kreislauf zeigen wollte – ein positives Denken. Es erfüllt sich exemplarisch in dem Werdegang der Füchsin: Nach neugieriger Jugend, glücklicher Vermehrung und einem durch Menschen herbeigeführten frühzeitigen Tod setzt es sich doch in ihrer zahlreichen Brut fort. Das aber ist in dem düsteren Ambiente kaum nachzuvollziehen, auch nicht das im Sujet ausgeführte Verhältnis vom Menschen zum Tier, das parallel abgebildet wird. Episoden verblassen allerdings in solcher Umwelt, wie die dramatische List der Füchsin, sich aus der Gefangenschaft zu befreien, wie das gestörte Eheleben des Försters oder wie das merkwürdige Verhalten der Männer, Förster, Pfarrer, Schulmeister und eines Wilderers, die alle Nebenbuhler um die Gunst des Zigeunermädchens Terynka werden. Nur einmal gibt es eine böse, weil von Menschen ausgedachte Pointe, als das Füchslein sterben muss, um einen Muff aus ihrem Fell als Hochzeitsgabe zu liefern.
Musik
Sehr deutlich ist in Janáčeks Musik nachzuempfinden, dass sie über Menschen und ihr Verhältnis zu den Tieren sinniert, über Natur, Wünsche und Fantasien. Janáček verwendet dafür herrlich schwelgerische, harmonisch eigenwillige Fügungen, zugleich eine feinsinnige Harmonik sowie eine eindrucksvolle Melodik. Davon aber war von GMD Mark Rode und der Mecklenburgischen Staatskapelle wenig zu hören. Mag es daran gelegen haben, dass das Bühnenbild nur zu Äußerlichkeiten inspirierte, selten zu einem geheimnisvollen Piano oder sensibler Klangmalerei anregte?
Wenn etwas erfreute, waren es die Kostüme (Tanja Hofmann). Sie gaben der tristen Umgebung ein paar farbige Nuancen. Da waren die aufgeregten Hühner mit ihren roten Mützen, unter ihnen der mit einem Brustpanzer bewehrte Gockel (Marie-Louise Tosheva). Eine Reihe von Kleingetier wie Heuschrecke, Grille oder Frosch belebte mit tierisch schönen Masken die ertränkte Natur, wie auch die hübsch kostümierte putzmuntere Jungfuchsmeute neben Papa Fuchs (Gala El Hadidin). Die Honoratioren (als Jäger Grzegorz Sobczak, als Pfarrer und zugleich Dachs Young Kwon und als Schulmeister Sebastian Köppl) waren fast schon bieder gekleidet, sie sind eben Menschen, wie auch die Försterfrau (Karen Leiber) oder der Schankwirt (Marius Pallesen).
Alle sind sie Sänger aus dem Ensemble, auch der vorgesehene Förster wäre es gewesen. Etliche sind Chorsolisten, andere Studentinnen der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Ein Kinder- sowie der Opernchor (Leitung: Aki Schmitt) und einige Puppenspieler füllen die Szene außerdem noch. Die vielen Mitwirkenden in ihren unterschiedlichen Rollen zu würdigen, verbietet sich. Ausgenommen sei die junge, sehr sichere Morgane Heyse, auch sie aus dem Hause. Sie spielte das schlaue Füchslein in einem sehr passenden Kostüm ausgesprochen agil, sang mit einem wendigen Sopran, der viele Nuancen hatte. Eine große Leistung!
Ein Schluss ist einfach: Alles wäre gut, wenn die Regie nicht Theater für sich, sondern für das Stück gemacht hätte.