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Fake & Error in Freiburg. Foto: Sebastian Düsenberg
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Schwindel, Irrtum und Manipulation – Luke Bedfords Kammeroper „Through his teeth“ in Freiburg

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Brilliante deutsche Erstaufführung von Luke Bedfords Kammeroper „Through his teeth“ in Kombination mit Monteverdis „Il Combattimento di Tancredi e Clorinda“ durch die Opera Factory Freiburg.

Manche Einakter sind einfach zu kurz, um eine abendfüllende Produktion zu gewährleisten. Deshalb sucht man mehr oder weniger glückliche Verbindungen zweier Werke, von denen Leoncavallos „Pagliacci“ mit Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ die bekannteste ist. Die Freiburger Opera Factory (früher: Young Opera Company) hat schon vor drei Jahren mit der Kombination von Gustav Holsts „The Wandering Scholar“ und Maurice Ravels „L’heure espagnole“ einen sehr stimmigen Musiktheaterabend hinbekommen. Nun kombinierte sie die deutsche Erstaufführung von Luke Bedfords Kammeroper „Through his teeth“ (2014) mit Claudio Monteverdis dramatischem Madrigal „Il combattimento di Trancredi e Clorinda“ (1624) in einem intensiven, präzisen und berührenden Opernabend im Freiburger E-Werk.

Mit „Fake and Error“, Schwindel und Irrtum, haben die freien Freiburger Opernmacher ihre eindrucksvolle Produktion überschieben. Hier ein Autohändler, der mit Lügengeschichten Frauen verführt und finanziell ausnimmt; dort der Kreuzfahrer, der erst im Sterben seines Gegners auf dem Schlachtfeld merkt, dass er gerade seine Geliebte getötet hat. Knapp 400 Jahre Musikgeschichte liegen zwischen den beiden Werken. Dirigent Klaus Simon hat die Instrumentalbesetzung von Bedford in seinem sensiblen Arrangement auf Monteverdi übertragen und nur die Klarinette von einer zweiten Violine ersetzen lassen. Die beiden weiblichen Stimmen (der in Monteverdis Original von einem Tenor gesungene Testo wird von der Mezzosopranistin Sirin Kilic verkörpert) begleitet eine Harfe, die männliche ein Akkordeon. Trompete und Schlagzeug unterstützen die Schlachtenmusik und schweigen bei den vielen lyrischen Passagen. Auch in der Erzählstruktur gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Werken, werden die Geschichten doch durch einen Augenzeugen (Monteverdi) beziehungsweise eine Interviewerin (Bedford) erzählt. Regisseur Hendrik Müller verzichtet darauf, die beiden Werke auch inhaltlich in eine konkrete Beziehung zu setzen – eine Pause trennt die Handlungen voneinander. Müller bleibt abstrakt und untersucht mit analytischer Klarheit und kluger Personenführung die Mann-Frau-Beziehungen. Und bringt mit der Kamera von Jonathan Busch, deren Bilder auf eine Seitenwand übertragen werden, noch eine weitere Wahrnehmungsebene ins Spiel: die Manipulation durch Bilder.

„Through his teeth“ (Lügt wie gedruckt) setzt ein mit einem Gespräch zwischen der Interviewerin (Sirin Kilic) und A. (Siri Karoline Thornhill), einem der vielen Opfer von R. (Georg Gädker). Ihre Erinnerungen werden zu Spielszenen auf der kleinen, schrägen Bühne (Raum und Kostüme: Claudia Doderer). Hier wird verführt. Hier geht es um Lust und Frustration, Abhängigkeit und am Ende auch Gewalt. Luke Bedfords Partitur (Libretto: David Harrower), die von der von Klaus Simon dirigierten Holst Sinfonietta so präzise wie farbig umgesetzt wird, steht ganz im Dienst des dramatischen Geschehens. Die Gesangslinien sind genau der Prosodie der englischen Sprache abgelauscht. Rhythmische Komplexität trifft auf Melos. Liegetöne halten die Spannung zwischen den Szenen. Die zunehmende Vierteltönigkeit zieht den tonalen Boden unter den Füßen weg und steht für die zunehmende Abgründigkeit.

Mit ihrem klaren, schlackenlosen, über eine mühelose Höhe verfügenden Sopran vermittelt Siri Karoline Thornhill ein vielschichtiges Psychogramm der verführten und betrogenen Frau. Auch Georg Gädker ist seinem geschmeidigen Bariton und seiner darstellerischen Wucht ein Täter, der viele Nuancen hat. Mit Sirin Kilic als attraktive Interviewerin, die sich vor allem selbst inszeniert und immer mal wieder ihren Lippenstift nachzieht, ist das großartige Solistentrio komplett. Kilic gestaltet auch die Rolle der besorgten Schwester und eines zweiten Opfers, das zu einem Instrumentalgewitter verrückt wird, beängstigend glaubwürdig. Ihr tragfähiger, beweglicher Mezzo hilft ihr dabei. Ob sich die Frauen von dem Verurteilten emotional gelöst haben? Das bleibt offen.  

Monteverdis Madrigal nach der Pause hält die emotionale Spannung hoch. Das Schlachtfeld ist hier ein Abendessen, der Rotwein das Blut, das Steak der Körper, der verletzt wird. Auf dem Livevideo kann auch ein Küchenmesser, von unten gefilmt, zu einem Schwert werden. Mit wenig Mitteln schafft die Opera Factory Freiburg aufregendes Musiktheater. Der von der Harfe (Lisa Berg) sensibel begleitete Gesang von Sirin Kilic, die die mit Verzierungen geschmückte große Partie des Zeugen zu einem aufwühlenden Schlachtenbericht macht, hält die szenischen Fäden zusammen. Dirigent Klaus Simon setzt die notwendigen Impulse, lässt die Musik atmen und hat auch immer die große Linie im Blick. Am Ende erklingt als Reminiszenz nochmals der sanfte Schluss von Bedfords Oper. Und schließt den berührenden Abend mit einer Frage.

  • Weitere Vorstellungen: 14./15. Okt., jeweils 20 Uhr. 16.Okt., 19 Uhr. Werkeinführung mit Cornelius Bauer jeweils 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn, E-Werk Freiburg.

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