Wer kann von sich sagen, sie oder er sei ganz erfüllt, von sich, dem Leben, allem Tun, Schaffen, Fühlen, Denken? Selbst bei allgemeiner Zufriedenheit verspüren wir ein Ungenügen. Das zeigt sich nicht zuletzt während der Sommer- und Urlaubszeit. Wir nehmen uns Auszeiten von Arbeit, Alltag und heimischer Umgebung. Wir fahren ans Meer, klettern auf Berge, bereisen fremde Länder, durchstreifen unbekannte Städte und Landschaften, besichtigen Museen, Schlösser, Burgen, Kirchen, Tempel, besuchen Familie, Freunde, Biergärten, Freizeitparks, Baggerseen …
Statt zufrieden in uns zu ruhen, sind wir unterwegs und wollen woanders sein. Was treibt uns an?Abenteuerlust, Neugierde, Erfahrungshunger, das Bedürfnis nach Abwechslung, die Suche nach Anderem? Der norddeutsche Dichter Georg Philipp Schmidt von Lübeck brachte dieses existentielle Gefühl von Unerfülltheit und Unruhe auf die Formel „Da, wo du nicht bist, ist das Glück!“ – von Franz Schubert 1816 im Klavierlied „Der Wanderer“ in cis-Moll vertont.
Und nun, da der Sommer sich neigt und allerorten die neue Spielzeit beginnt, drängt es uns wieder in die Konzert- und Opernsäle. Statt nach äußerer Veränderung, verlangen wir nach neuen Hörerlebnissen, angetrieben von der Sehnsucht, unseren Horizont durch Alte oder Neue Musik zu weiten. Zwei Festivals im alpenländischen Raum verbinden dazu Wanderungen über Stock und Stein mit Neuer Musik. Das Festival neue Musik Rümlingen, sonst im nordschweizer Baselbiet zuhause, begibt sich dieses Jahr sogar komplett auf einen „Klangweg“ im Unterengadin entlang des Inn von Lavin bis Sur En d’Ardez. Unter dem Motto „INNLAND – AUsLAND“ werden dabei am 14. und 15. September neue Werke von Jürg Kienberger, Urban Mäder, Caspar Johannes Walter, Daniel Ott und Beat Furrer uraufgeführt. In diesem Grenzgebiet von Schweiz und Österreich kommt es dabei auch zu einer Begegnung mit dem Tiroler Festival Klangspuren Schwaz, dessen „Klangwanderung“ von Nauders und Altfinstermünster nach San Niclà führt. Zwischen dem 6. und 22. September spielt man dort neue Werke von Judith Unterpertinger, Elisabeth Schimana, Peter Ablinger, Wolfgang Schurig, Michael Maierhof, Klaus Lang und Lisa Streich.
Die zweite Ausgabe des Berliner Festivals für aktuelles Musiktheater BAM! präsentiert vom 26. bis 29. September vier neue Musiktheaterarbeiten: von Brigitta Muntendorf und Michael Höppner „Songs of Rebellion“, von Franziska Kronfoth und Hsuan Huang „Whale Song“, von Johannes Kreidler „Selbstauslöser“ sowie von Hang Su „The Body Memory“. Zur gleichen Zeit sind bei der Biennale Musica di Venezia zwischen dem 27. September und 6. Oktober nicht weniger als fünfzehn neue Werke vorwiegend italienischer Komponistinnen und Komponisten zu erleben, unter anderem von Lucia Ronchetti, Matteo Franceschini, Claudio Ambrosini und Vikintas Baltakas. Das Beethovenfest Bonn schließlich bietet am 24. September die Uraufführung eines neuen Violinkonzerts von Enno Poppe für die Solistin Carolin Widmann und die NDR Elbphilharmonie unter Leitung von deren neuem Chefdirigenten Alan Gilbert. Möge unsere Sehnsucht mit all dieser neuen Musik, wenn schon nicht gestillt, so doch genährt werden.
Weitere Uraufführungen:
14.09.: Dganit Elyakim, Snezana Nesic und Alexander F. Müller, neue Werke für Trautonium und das Bremer Ensemble New Babylon, Theater am Leibnitzplatz Bremen
15.09.: Katharina Rosenberger, neues Werk für Basel Sinfonietta, Güterbahnhof Wolf Basel
15.09.: Malika Kishino, „Naki-Ryu (Flutter Echo)“ für Oboist Peter Veale, WDR Funkhaus Köln
27.09.: Prasqual, neues Werk für Asasello Quartett, Sankta Clara-Keller Köln