Immer gibt es kulturaffine Menschen, die die Oper aus ganz unterschiedlichen Gründen ablehnen: u. a. zu viel, zu künstlich, zu elitär. Der russische Komponist Serge Prokofieff zeigt in seiner 1921 in Chicago uraufgeführten Oper, was sie aber ganz sicher auch sein kann: Ironie über das Publikum, Ironie über sich selbst, Ironie über die Gattung oder einfach über „alle, die nicht lachen können“, wie der Komponist sagte. Zuletzt hat die Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ Andras Fricsay 1989 in Bremen inszeniert und die fantastische Story (nach Carlo Gozzi mit allen Elementen der commedia dell'Arte) im Drogenmilieu angesiedelt. Für diese einzigartige Oper war der Regisseur Frank Hilbrich am Theater Bremen der Richtige, hat er doch seinen Sinn für Humor und Leichtigkeit, aber auch die Fähigkeit zu distanzierter Reflexion schon mehrfach bewiesen. In der bejubelten Premiere machte er alle Schleusen auf für den Spaß im Theater.
Selbstverliebter Systemverweigerer – „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Prokofieff als Opernfest in Bremen
Der Prinz döst in einem Einkaufswagen vor sich hin, pflegt seine Depression, lässt eine Horde unfähiger Ärzte an sich herumfummeln, und weist jeden Versuch, ihn zum Lachen zu bringen, als erfolglos von sich. Dazu tobt im Theater inklusive des Publikums ein ästhetischer Streit, was denn nun der Sinn von Theater sei: Spaß oder Katharsis, Komödie oder Tragödie, oder noch was anderes. Der immer wieder hochkommende Streit nimmt demonstrationsähnliche Zustände an, die wild in das Publikum hineingetragen werden. Als der Clown Truffaldino vom König – des Prinzen Vater – beauftragt wird, den zum Lachen zu bringen, in Streit gerät mit der Hexe Fata Morgana, fängt er plötzlich an zu lachen, denn die ist hingefallen und liegt auf dem Rücken. Er beginnt einen wilden Tanz mit dem Skelett Fata Morgana. Theaterzauber, Theatermagie, Märchen, Groteske und wirkliches Leben fallen hier auf unnachahmliche Weise zusammen. Jetzt dreht sich alles um, der Prinz, von Fata Morgana verflucht, sich in drei Orangen zu verlieben, die er noch finden muss, verfällt in hektische Aktivität.
Die „Exzentrischen“, wie die verschiedenen Truppen im Programmheft genannt werden, entfachen in Masken, Mickey Mouse und Donald Duck Figuren geradezu Tobeorgien. In atemlosem Tempo bezieht Hilbrich die Theaterproduktion selbst mit ein – die SpielerInnen laufen häufig mit unfertigen Kostümen und Masken herum. Die sind gut entnommen der ebenso präzisen wie einfallsreich kontrastierenden Musik. Musik, die nie Sinn vermitteln will, sondern zielstrebig, genau und witzig ist, ebenso schöne Melodien findet wie geradezu fetzige, gut sitzende Gesten. Der Besuch bei der Giftköchin, die die Orangen mit den Prinzessinnen in deren Innerem bewacht, wird zum an Turbulenz nicht zu schlagenden Höhepunkt in von überall herkommenden Riesenspaghetti.
Ein hochmotiviertes Ensemble sorgt mit diesen Steilvorlagen für unglaubliche Rollen in hohem Tempo ganz simpel für einen Theaterspaß ohne je – und das ist in diesem originellen Werk ungeheuer wichtig – in traditionelle oder gar billige Effektgags zu verfallen. An erster Stelle der Prinz von Ian Spinetti, der mit seinem gut sitzenden Charaktertenor einen bezaubernd selbstverliebten Systemverweigerer zeigt: „ich hasse deine Krone“! Nadine Lehner als flexibel tobende Fata Morgana, Hidenori Inoue als pralle Köchin, Michael Zehe als hintergründiger Leander, Fabian Düberg als witzig bemühter Truffaldino, weiter Michael Partyka, Natalie Mittelbach, Elias Gyungseok Han, Adèle Lorenzi, Elisabeth Birkenheier und Yuxiang Liu sorgten für höchst individuelle, nie nachlassende Turbulenzen. Das intelligente Bühnenbild von Sebastian Hannak mit seinen flexiblen quadratischen Kästen wirkte ebenso gut passend für Hilbrichs Theaterfest wie auch umgekehrt. Auch die Kostüme (Gabriele Rupprecht) lassen an Fantasie und Komik nichts zu wünschen übrig. Und ein Sonderlob für die Bremer Philharmoniker unter der Leitung von Sasha Yankevich, der den sprunghaften Witz von Prokofieffs Musik souverän im Griff hatte – mit dem wunderbaren Höhepunkt des berühmten Marsches.
- Die nächsten Aufführungen 26. und 31.5., 2., 12., 20. und 22. Juni im Theater am Goetheplatz
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