Lautstark und kontrovers war in Lübeck die Reaktion auf Tilman Knabes Umgang mit Giacomo Puccinis „Tosca“. Es war eine Inszenierung, die vor kaum einem Tabu Halt machte. Schonungslos versuchte sie dem Publikum das Gefühl von Sicherheit zu nehmen, es damit zu konfrontieren, dass Krieg und Gewalt, Zerstörung und Hass, menschliche Qual und Perversion vor der Tür stehen.
Die Bühne ist lange vorher offen, gibt den Blick auf eine Kriegskulisse (Wilfried Buchholz) frei, auf einen ausgebrannten Kirchenraum, wie man ihn sich in Syrien oder einem seiner Nachbarstaaten vorstellen kann. Links steht noch eine Wand, auf der eine Pietà mit blutrot zerkratztem Gesicht zu erkennen ist und ein Frauenbildnis, das Cavaradossi renoviert. Nach hinten begrenzen Betonplatten mit Glasscherben darauf den Raum. Aus weiterer Ferne glotzen die leeren Fenster eines Hochhausbaus. Rechts ist unter einem in die Wand eingelassenen griechischen Kleeblattkreuz ein Altar zu erkennen, alles rußgeschwärzt, darüber höhnisch in Rot gesprayt „À piè della Madonna“. Auf dem Boden davor machen sich acht Frauen in Tarnkleidung mit allerlei Kampfsportübungen fit, holen aus einem Bodenverließ Kisten mit Waffen, Munition und Sprengstoff, rauchen dabei, führen sich unbekümmert auf, als sei ihr tödliches Tun Spiel. Dass es das nicht ist, macht plötzlich eine Gruppe maskierter Kämpfer mit Kalaschnikows im Anschlag klar, die durch den Zuschauerraum auf die Bühne stürmt. Das ist der Auftakt zum Einsatz des Orchesters und für Cesare Angelotti, der reichlich zerlumpt und blutbeschmiert heranstürmt, nach Schlüssel und Versteck sucht.
Provokatives
Tilman Knabe provoziert gern. Seine Markenzeichen sind eben diese Kalaschnikows und Tarnanzüge, viel Theaterblut und drastische Darstellungen. Die Liste seiner Inszenierungen zeigt davon einiges, Beispiele sind in Köln Saint-Saëns‘ „Samson und Dalila“, wo Choristen 2009 sich weigerten, allzu drastische Brutalität darzustellen, in Mainz 2011 „Tristan und Isolde“ und ebenda 2014 „Don Giovanni“. Auch im Schauspiel nutzte er seine Versatzstücke, so in Oberhausen 2012 in Shakespeares „Sturm“. Seine Lübecker „Tosca“ machte es ihm vergleichsweise leicht, weil bereits ihr Sujet Intrige, brutale Machtausübung, Folter und Vergewaltigung thematisiert. Knabe spitzt dennoch zu. Er verdeutlicht und verschiebt die Machtverhältnisse, die einerseits durch die maskierte Männergarde des Polizeichefs Baron Scarpia repräsentiert wird, andererseits durch die weibliche Partisanengruppe, deren Spitze die Marchesa Attavanti ist. Sie ist die Schwester des abgesetzten Konsuls Cesare. Wie eine Hyäne stürzt sie sich im zweiten Akt auf Scarpia, der hier nicht allmächtiger Polizeichef sondern nur Handlanger einer noch höheren Instanz ist. Das ist die wieder eingesetzte Königin Maria Carolina, die ihre Macht brutal festigen will. Auch sie stellt Knabe als Person auf die Bühne. Schon im ersten Akt werden die Abhängigkeiten angedeutet, wenn sie zum Sieges-Tedeum in der Kirche erscheint. Höhnischer noch aber wird eine ebenfalls hinzuerfundene blutige Demütigungsszene zu Beginn des zweiten Aktes. Die Königin, eine strenge Schönheit in einem eng anliegenden roten Kleid (Kostüme: Gisa Kuhn), erniedrigt Scarpia in seinem Amtszimmer, lässt ihn durch ihre Bodyguards blutig schlagen.
Spätestens hier gerät der veristische Ansatz von Puccinis Oper, die Schlechtigkeit und Brutalität der Potentaten der Welt bloßzustellen, ins Schiefe, verliert bei der Menge an Theaterblut an Eindringlichkeit. Scarpia handelt im zweiten Akt nicht mehr als rüder, dämonischer Folterer und Verführer sondern als pathologischer Verlierer, dessen Handlungen tiefenpsychologisch (v)erklärt werden. Diese Schiene verfolgt Knabe auch bei Tosca und Cavaradossi. Beide werden als Abhängige gezeigt, der Maler vom Kokain, die Sängerin Tosca von Tabletten.
Irreales und Skurilles
Um ihre Sucht zu erklären, lässt er eine zweite Tosca mehrmals als von einem Priester missbrauchtes Kind auftreten, auch das wieder sehr drastisch mit Blut an den Beinen. Irreal wirkt das, auch das Ende Scarpias, der von den gleichen Partisaninnen, die er am Schluss des ersten Aktes der Reihe nach mitleidslos erschießt, erstochen wird. Sie übernehmen damit Toscas Tat, derer sie sich merkwürdigerweise dennoch später rühmt. Auferstanden ist auch die Marchesa, der Scarpia das Hemd vom Körper riss und mit einem Messer die Kehle durchschnitt. Grausig, zugleich pervers rächt sie sich, indem sie dem Mächtigen sein Gemächt abschneidet und es triumphal hochhält. Noch einmal haben die Widergängerinnen im dunklen dritten Akt einen Auftritt. Er spielt auf einer Dachplattform vor einem Sendemast mit Überwachungseinrichtungen. Sie sind es, die Scarpias Mannen töten, kommen allerdings zu spät, Toscas Geliebten zu retten. Tosca kann ihn nur noch beweinen und verwirrt zusammenbrechen. Auch wenn das der Darstellerin den Sprung in den Tiber erspart, wie es das Libretto vorsieht, wird hier der Verismus zum Albtraumspiel. Und noch einmal kippt die Darstellung, wenn nach dem zweiten Akt lautstark schimpfend die beiden Putzfrauen auftreten, die bereits Scarpias und Cavaradossis Blut im zweiten Akt aufwischen mussten. Ihr lautes „Sempre sangue, perché“ wurde mit Lachen quittiert. Befreiend war diese gesprochene Szene nicht, eher deplatziert.
Grandiose Sänger
Bei all diesen knalligen Aktionen könnte die Musik in Vergessenheit geraten, tut es aber nicht. Puccini bleibt die Basis, der die Hinzufügungen erstaunlich gut angepasst waren. Die Lübecker Philharmoniker hätten aber noch mehr an szenischer Wirkung entfalten können, wären sie durch Rysuke Numajiri, GMD am Theater, mehr zu italienischem Glanz geführt worden. Besonders im letzten Akt waren Knabe die Hände gebunden, von ihr abzulenken, etwa in Cavaradossis Bittgesang zu den wunderbaren Celloklängen und der Klarinette. Numajiri kann dramatisieren, auch Bühne und Graben zusammenhalten, für die Feinheiten des Klanges aber fehlt ihm die Finesse. Die brachte dafür die grandiose Erica Eloff in ihrem Debut als Tosca. Eine große Stimme hat sie, klang- und ausdrucksvoll. Wunderbar ihr Bekenntnis „Vissi d’arte“. Zurab Zurabishvili, der zweite Gastsänger, glänzte nach kurzer Anfangsmühe mit seinem kraftvollen Tenor. Mühelos und überzeugend hielt er seine schwere Partie bis in den letzten Akt durch. Den Scarpia verkörperte wie schon in früheren Inszenierungen an diesem Haus Gerard Quinn. Er gab dem Bösewicht seinen wandlungsfähigen Bariton, überzeugte auch wieder durch sein Spiel, bei dem jede Geste sitzt. In den kleineren Bassrollen, der des Cesare und des Messners, hat Lübeck zwei verschwenderisch gute Stimmen, die von Sekhoon Moon und von Taras Konoshchenko. Chor und Extrachor, Kinder- und Jugendchor Vocalino waren von Jan-Michael Krieger sicher einstudiert und auf der Bühne vielseitig beschäftigt, ebenso die Vielzahl von Statisten.
Tilman Knabes Deutung der „Tosca“, die mit seiner Inszenierung nach über 50jähriger Friedenszeit bildhaft auf die Qualen hinweist, die falsches Verständnis von Macht bringt, scheint redlich, auch verständlich und deutlich in ihrer Blickrichtung. Die Drastik ist in Zeiten brutaler Videospiele auch nicht das Problem, weshalb hier dem Regisseur nicht gefolgt wurde. Er scheint, als habe er einem Gedanken aus einem Brief Puccinis an den Librettisten Giuseppe Giacosa konsequent folgen wollen: „Mit La Bohème wollten wir Tränen ernten, mit Tosca wollen wir das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen aufrütteln und ihre Nerven ein wenig strapazieren. Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein.“ (Zitat nach dem Programmheft) Das Problem sind die sich nicht zusammenfügenden Mittel sondern das Zuviel an Ansätzen.