Was ist eine „Schönberg-Gala“? – Novoflot, die Berliner Theaterkompanie, hat den Schleier jetzt gelüftet. An prominenter Stelle, auf dem zur Bühne verwandelten Podium der Kölner Philharmonie, wurde das Blatt aufgedeckt. Ergebnis: Wer wegen Schönberg kam, musste Kröten schlucken. Wer Gala wollte, bekam Gala.
Show schlägt Kunst, die wehrt sich
Alles wie im Fernsehen. An den Shows der Herren Silbereisen, Gottschalk hatte Novoflot, hatte sein Regie führender Gründungsdirektor Sven Holm, für jeden erkennbar, Maß genommen. Im Titel stand Schönberg. Wichtig war etwas anderes. Bilder. Und zwar lebende, gefertigt aus den Mitwirkenden. Und von denen gab es reichlich. Neben den ihr Handwerk vorzüglich verstehenden Novoflot-Ausführenden, traten in Erscheinung gleich drei professionelle Kammerensembles: ensemble dissonART der Deutschen Oper Berlin, ansonsten aber, und das wird die Förderer überzeugt haben, lauter Kölner Gewächse. Asasello Quartett, Ensemble ColLab Cologne von der Hochschule für Musik und Tanz, das aus Laien gebildete, Inklusion groß schreibende MenschenSinfonieOrchester sowie das Symphonische Jugendblasorchester der Rheinischen Musikschule.
Wie organisiert man eine solche tönende Armada? Holm nutzte die Tiefe des Raums, ließ die jungen Bläser erst auf den Sitzen hinter dem Podium Platz nehmen, später von den hinteren leeren Rängen intonieren. Nach neunzig Minuten, mit breitem Pinsel, das große Schlussbild. Sämtliche Ensembles zuzüglich der Mitglieder des Tanzsportvereins Blau-Weiß Berlin. Letztere hatten einen ausgesprochen schweren Part, den sie aber souverän meisterten. Wie tanzen auf eine Musik, die dafür nicht geschrieben war? Blau-Weiß zählte, um orientiert zu bleiben mit. Musiker, sieh du zu!
Auf den Rängen nicht wenige verzückte Gesichter, die verrieten, dass man vertraut war mit der Dramaturgie einer sich kontinuierlich füllenden Bühne, Auf- und Abtritten, den plötzlichen Einsätzen, ebenso häufigen Abbrüchen und dass man vertraut war mit kalauernden Conférenciers, nebst ihren voraussehbaren Witzen, denen die Luft immer vor der Zielinie ausging, weil all diesen Verzällchers abging, was man braucht für so einen Job: Humor. Intelligenz. Respekt. Vor allem an Letzterem gebrach es. Orakelte das Programmheft noch über Schönberg als einen der „verwegensten Künstler der Musikgeschichte“, auf dessen Werk man „unterschiedliche Perspektiven richten“ wolle, so stellte schon die Gala-Ouvertüre klar, wie der Novoflot-Hase hier zu laufen hatte. Auftritt Asasello-Quartett. Vier Musiker in Konzertkleidung. Nur kamen die nicht auf ein Podium, sondern betraten eine Novoflot-Bühne. Man hatte zu grüßen, nach rechts und links zu applaudieren. Solche Sachen.
Dann, als Asasello sich doch anschickte, seine Asasello-Trümpfe herzuzeigen, ein auratischer Moment. Man intonierte, was nach dem Largo aus Schönbergs 4. Streichquartett klang. Etwas unendlich Zartes löste sich, stieg auf, formte sich zu einer Art schwebendem Aquarell, dessen Teile man versuchte, aufzufangen, die sich drehenden, hingewischten Schleier zusammenzusetzen. Für einen Augenblick andächtige Stille. Das hatten die Verzückten nicht erwartet. Und doch, ganz offensichtlich war man bereit im Saal, mitzugehen auf diesem Weg, etwas Neues zu entdecken. Dem stand, leider, die Regie im Weg. Die Chance ward vertan, so schnell sie sich aufgetan hatte. Als sei es das normalste von der Welt, legte sich mit einem Mal Moderationston über den hingezauberten Schönberg. Fade off. Weiter mit lustig! Klar, man war ja auch nicht im Schönberg-Konzert, sondern in der Schönberg-Gala. Show frißt Kunst. Was bei einem Silbereisen, hat Rezensent neulich noch geprüft, nicht in die Tüte kommt. Sollten sich die Novoflotter mal reintun.
Dass man auch anders kann, zeigte sich an einer weiteren, Schönberg gewidmeten Produktion, die im Klaus von Bismarck-Saal des Westdeutschen Rundfunks als Uraufführung zu erleben war: „Ein Ermordeter aus Warschau“. Gemeinsam mit Autor Max Czollek und dem Komponisten Michael Wertmüller kam es zu einer Art Übermalung von Schönbergs op. 46 „A Survivor from Warsaw“, womit ein Thema gesetzt war, an das man nur mit Zögern, mit Zweifeln herangehen kann. Wie von einer Katastrophe erzählen, die alles in den Schatten stellt? - Hier halfen drei Dinge. Zunächst die der Novoflot-Truppe inhärente Ironie. Auf dem, auch hier zur Bühne verwandelten Podium, diverse Probensituationen, Simulationen. Das Ernste brechen, Katastrophen auslachen. Dabei wurde dankenswerterweise nichts zitiert mit Ausnahme einer hingetupften, am Klavier gemimten Stelle aus dem „Schma Jisrael“.
Im Ganzen ein Umkreisen, ein Ausweichen, Verlagern. Darin spürbar vor allem die Handschrift von Czollek, der mit einem klugen, einem guten Text auf die Bühne kam. Dass er diesen dann weniger gut vortrug, machte nichts, weil die Botschaft sowieso alles erdrückte. Es gibt, wollte Czollek sagen, keinen „Überlebenden“. So was ist nur unser frommer Wunsch, der mit dem, was da mal „Realität“ gewesen ist, nichts zu tun hat, worin man natürlich zustimmen muss. Nicht umsonst steht ja bei Paul Celan, dass, wer „von dieser Zeit spräche“, sowieso nur Lallen könne. Etwas von diesem Lallen hatte diese Produktion. Eine, die von einer Bitternis erzählen wollte und sich zugleich darüber im Klaren ist, dass genau das unmöglich ist. Ein Widerspruch, der die Intelligenz dieses Stücks ausmachte und die die in die Darstellung verwickelten Sängerinnen, Tänzerinnen ausagierten. Eine tanzende Japanerin Ichi Go, die eigentlich keine Lust dazu hatte, eine, mimisch großartige, Rosemary Hardy, die sang, weil sie nicht wusste, was sie reden sollte. Zu alldem bediente, steuerte Komponist Michael Wertmüller Vielseitiges bei. Eine ätherisch klingende Kantate, zu der Noa Frenkel ihre noble Altstimme, Rosemary Hardy ihren schönen Sopran lieh. Am Ende wurde es fetzig. Wertmüller, soviel war klar in diesem Moment, hat einen veritablen Rock-Hintergrund. Man ging durchgeschüttelt. Und nachdenklich.
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