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Sich selbst entrinnen und das echte Leben suchen

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Uraufführung der Oper „From Morning to Midnight“ von David Sawer in London
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An Londons English National Opera erlebte am 27. April die Oper „From Morning to Midnight“ von David Sawer ihre Uraufführung. David Sawer, der unter anderem 1984 bei Mauricio Kagel in Köln studiert hatte, besitzt hier zu Lande den Ruf eines Talents, das es zu verfolgen gilt. 1995 schlug sein Trompetenkonzert Wellen, während er in jüngerer Vergangenheit mit dem Orchesterwerk „the greatest happiness principle“ und der Komposition „Tiroirs“ für die London Sinfonietta auf sich aufmerksam machte. Auf der Bühne war er bisher lediglich 1991 mit der Kammeroper „The Panic“ in Erscheinung getreten. Für seine erste abendfüllende Oper griff Sawer auf keinen Geringeren als Georg Kaiser, den führenden deutschen Dramatiker des Expressionismus und Wegbereiter für Bertold Brecht zurück. „Jedes Dichtwerk verrichtet eine vernichtende Niederlage der Geborgenen“, jener Ausspruch Georg Kaisers könnte durchaus auch als Motto für sein Stück „Von morgens bis mitternachts“ gelten.

An Londons English National Opera erlebte am 27. April die Oper „From Morning to Midnight“ von David Sawer ihre Uraufführung. David Sawer, der unter anderem 1984 bei Mauricio Kagel in Köln studiert hatte, besitzt hier zu Lande den Ruf eines Talents, das es zu verfolgen gilt. 1995 schlug sein Trompetenkonzert Wellen, während er in jüngerer Vergangenheit mit dem Orchesterwerk „the greatest happiness principle“ und der Komposition „Tiroirs“ für die London Sinfonietta auf sich aufmerksam machte. Auf der Bühne war er bisher lediglich 1991 mit der Kammeroper „The Panic“ in Erscheinung getreten. Für seine erste abendfüllende Oper griff Sawer auf keinen Geringeren als Georg Kaiser, den führenden deutschen Dramatiker des Expressionismus und Wegbereiter für Bertold Brecht zurück. „Jedes Dichtwerk verrichtet eine vernichtende Niederlage der Geborgenen“, jener Ausspruch Georg Kaisers könnte durchaus auch als Motto für sein Stück „Von morgens bis mitternachts“ gelten.Die sieben, in der Oper pausenlos ineinander übergehenden Szenen handeln nicht von der Entwicklung eines Individuums, sondern „von der existenziellen Kaufkraft des Geldes... Das Geld wird beim Wort genommen... Kann es halten, was man sich von ihm verspricht...?“ (Walther Huder). Ebenso muss Georg Kaisers Zitat auch für den riskanten, aber durchaus viel versprechenden Versuch einer musikalischen Überhöhung dieses Stationendramas gelten, sah sich David Sawer doch mit dem von ihm selbst geschriebenen Libretto unter geschickter Raffung des Textes den Intentionen des Autors verpflichtet.

Nur, was der Komponist in einer Art Tagebuch im Programmheft veröffentlichte, darunter „... ich las das Stück, ohne zu unterbrechen. Es hat enorme Dynamik und Rhythmus, endlose Abwechsung und eine sich schnell entwickelnde Handlung...“, das erfüllte die musikalische Realität nicht.

Der Tag dieses symbolischen Bankkassieres, der sich morgens mit 60.000 gestohlenen Mark aufmacht, sich selbst zu entrinnen und das echte Leben zu finden, um mitternachts vor der versammelten Heilsarmee die Erkenntnis aus sich zu brüllen, „das Geld verschlechtert den Wert. Das Geld verhüllt das Echte – das Geld ist der armseligste Schwindel unter allem Betrug...“, und diese Farce mit einer Kugel durch seinen Kopf beendet, verlangt keine musikalische Untermalung, sondern rasantes, expressives Tempo und fibrierende, ja schockierende Dynamik. Davon ist bei David Sawer bedingt lediglich in der Szene des Sechstagerennens die Rede, wenn immer größere Einsätze des Kassieres das Geschehen anheizen, bis für die am höchsten dotierte Runde der Kaiser selbst auftritt und unter den Klängen der Nationalhymne an die Stelle der Geldgier subalterne Staatsräson tritt. (Die Inszenierung fordert im Besetzungszettel das Publikum auf, sich beim Erscheinen des Kaisers, von den Sitzplätzen zu erheben!!!)

Sicherlich investierte David Sawer in seine Partitur viel Intellekt, doch wenig Blut. Sie entspricht mehrheitlich lediglich einer unwesentlich dahinplätschernden Bühnenmusik und konfrontiert nicht mit stimmlicher Überzeichnung und Herausforderung, sondern mit allzuviel Sprechrhythmik – auch wenn dies an der gewohnt schlechten Textverständlichkeit erneut nichts änderte (in den USA werden auch englische Texte auf das Proszenium projiziert).

Zu sehr schien sich Sawer darauf konzentriert zu haben, jeder einzelnen Szene ihr eigenes musikalisches Kolorit zu geben. Dem fiel die hier dringend geforderte kohärente Motorik zum Opfer.

Die bis in das kleinste Detail überstrapazierte Regie (Richard Jones) und das allzu clevere Design (Steward Laing) garantierten erhebliche Lachsalven. Man sah sich einem bei weitem nicht immer geschmackvoll realisierten Schauspiel mit gelegentlichen musikalischen Ausbrüchen ausgesetzt. Dennoch gebührt der English National Opera Dank, dass sie im Gegensatz zum Royal Opera House zeitgenössischen Komponisten die Treue hält und ihnen zuvor in ihrem Opernstudio die Möglichkeit bietet, wichtige praktische Erfahrungen zu sammeln. Mit „A Better Place“ von Martin Butler steht in Bälde eine weitere Uraufführung bevor.

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