Wagners „Ring“ ist in Kiel Chefsache. Generalintendant Daniel Karasek fügte mit dem „Siegfried“ (Premiere: 11. März 2017) nun das dritte Glied, den zweiten Tag, hinzu, bevor es in der nächsten Spielzeit zum Endspiel in der „Götterdämmerung“ kommt. Warum Wotan auch mit Siegfried scheiterte, diesem furchtlosen Helden, wurde an der Förde sehr einleuchtend inszeniert.
Karasek versucht ohne Mätzchen auszukommen, auf jegliche Modelliermasse zu verzichten, die den Stoff durchwirken will. Sein „Siegfried“ ist im besten Sinne ein Märchenspiel, durch die Projektionen zu den Vorspielen urweltlich eingebunden. Einerseits sieht er seine Regeln durch den Text vorgegeben, andererseits gewinnt er seine Spielzüge aus dem Miteinander der Figuren und verpflichtet sich zudem auf einer höheren Ebene der Musik. Wagnerianer der alten Schule werden ihre Freude haben. Dabei half ihm Chiharu Shiota, die in Berlin lebende Installations- und Performance-Künstlerin. Sie stellte im ersten Akt einen veritablen Amboss auf die Bühne, dahinter eine Jean Tinguely nachempfundene zweiteilige Maschinerie, an der Siegfried sein geweihtes Schwert Nothung wieder zusammenschweißt. Das war des Furchtlosen erste, in grelles Rot getauchte mythische Aufgabe, während in den Szenen davor die profane Bärendressur nur als Projektion (Video: Konrad Kästner) abläuft.
Bühnenästhetik
Anders, weniger naturalistisch kommt der zweite Akt daher mit seinen Naturräumen und dem Lindwurm, alias Fafner. Shiota hängt den Raum voller Matten, die Vegetatives assoziieren, Wald oder Gesträuch. Sie zitiert damit zugleich Zwischenwände aus den beiden ersten Teilen der Tetralogie, bei denen Norbert Ziermann, der Ausstattungsleiter des Theaters, für die Bühne verantwortlich zeichnete. Auch der Lindwurm, eine von Marc Schnittiger entworfene Großfigur, schafft Verbindung zum „Rheingold“ der vergangenen Spielzeit. Ähnlich wie Fafner und Fasolt dort besteht er hier aus einem luftigen Gerüst, das von Figurenspielern bewegt wird. Weder der Wald noch dieser Drache mit seinen toten Augen wirken indes furchterregend, schon gar nicht auf Siegfried. Sie sind ästhetische Gebilde.
So empfindet man auch den dritten Akt mit winterlichen Baumsilhouetten, projiziert auf Großflächen. Auch sie verweisen auf die Vorabende. Dieser Schlussakt mit seiner doppelten Erweckung, zunächst der Erdas durch Wotan, dann der Brünhildes durch Siegfried, ist optisch ausnehmend reizvoll. Zur ersten sinkt vom Bühnenhimmel Erdas Auftrittsort herab, ein aus leeren Fenstern zusammengefügtes Halbrund. Es entstammt einer Installation „INSIDE – OUTSIDE“, in der Shiota 2009 Holzrahmen aus Abriss-Häusern verarbeitete. Sie sollten nach eigenem Bekunden „Geschichten, die ein Mensch zu erzählen hat, vor dem Vergessen bewahren“. Auch die der alten Heldensagen gehören dazu. Soweit ist das stimmig. Zwischen den Waldflächen entfaltet sich dann die kurioseste Unterhaltung der Oper, die zwischen einem unwissenden Weltenlenker und einem Jungspund, der alles will. Anmaßend zerschlägt er des Weltenlenkers Machtsymbol, den Speer. So kann der Held, nachdem er noch furchtlos das Feuer durchschreitet, endlich zu Wotans Lieblingstochter Brünnhilde vordringen und sie aus dem Dauerschlaf erwecken. Für diese Szene nutzt Shiato ein anderes, für sie wichtiges Merkmal, den Faden, hier in Form von roten Tauen, darunter die an ihr Bett gefesselte Walküre. Ihr Anblick, der einer Frau, ist nun endlich das, was dem Helden Furcht einflößt. Dennoch zerschneidet er die Seile, seine letzte große Tat, mit der er die Walküre gewinnt.
Claudia Spielmann unterstützt das Konzept. Bis auf den schlampert geratenen Siegfried stecken alle in sehr charaktervollen Kostümen. Lange Mäntel und Leder bei dem Wanderer und Alberich erinnern an den Wilden Westen, Mimes Lederzeug ist funktional. Der Vogel ist mit einem Flügel ein halber Rabe, ein halbherziger Begleiter Wotans? Die Damen dagegen, Erda in Weiß, Brünnhilde in edlem Grau sind aufwändig unauffällig gekleidet.
Immer wieder das Wunder der Musik
Geheimnisvolles oder Merkwürdiges geschieht genug in diesem mit nur acht Rollen auskommenden Bühnenwerk, vor allem in der Musik. Darüber ist viel Ernstes und Persiflierendes gesagt worden. Bedacht sei deshalb hier die Arbeit des Regisseurs. Er muss ernsthaft versuchen, seine Zentralfigur so spielen zu lassen, dass der Wagnerianer nicht nur den Heldentenor genießt, sondern auch die Inszenierung. Das gelingt nicht immer, manches gerät zu statisch, anderes zu gleichförmig. Den Gesang bringt nur ein stimmlich ausgereifter Sänger mit ebenso ausgereifter Statur zustande, der aber zugleich einen jungen und übermütigen, weltunerfahrenen Jüngling mimen muss. Arg derb fiel das im Spiel aus. Ungestüm wie sein Figurencharakter jagte Siegfried den armen Mime in immer gleicher Weise über die Bühne oder fiel, um Erstaunen auszudrücken, ständig auf die Knie.
Karasek hatte sich mit Bradley Daley einen Heldentenor ins Haus geholt, der seine gewichtige Rolle ziemlich lange gut durchhielt, bevor er nachdrückte. Seine Stimme hatte Kraft, ohne schwer zu sein. Einziges Manko beim Singen war, dass er, aus Australien stammend, die deutsche Sprache phonetisch nicht voll beherrschte, die Vokale teils sehr flach gestaltete und nicht zwischen „lehren“ und „lernen“ unterschied. Der Wanderer (Thomas Hall) dagegen, alias Wotan, ebenfalls aus englischem Sprachraum, artikulierte weit besser, hatte zudem einen grandios voll klingenden Bariton, den man sich nur dynamisch etwas mehr schattiert gewünscht hätte. Den Mime sang und gestaltete der Spanier José Montero mit kräftigem, zugleich wendigem Tenor, auch sehr agil im Spiel und ein vortrefflicher Widerpart zum Protagonisten. Sein Bruder Alberich war Ks. Jörg Sabrowski, auch er von großer Bühnenwirksamkeit, so dass die baritonale Auseinandersetzung mit dem Wanderer im zweiten Akt zu einer der eindrucksvollsten Szene wurde. Mit dem Waldvogel hatte Mercedes Arcuri mit hellen Koloraturen einen vorzüglichen Einstand im Ensemble des Theaters, während die schöne Bassstimme von Timo Riihonen als Fafner diesmal nur akustisch verfremdet zur Wirkung kam. Die beiden Frauenrollen gestalteten Tatia Jibladze mit berührendem Alt und wunderbar präzisem Spiel als Erda und Kirsio Tilhonen als Brünhilde. Der würdevoll agierende finnische Gast imponierte mit seinem kraftvollen und gut timbrierten Sopran, wurde leider bei tieferen Passagen durch das Orchester überdeckt.
Dort im Orchestergraben fügte sich nicht alles. Gleich im Vorspiel passierte einiges, und auch später hatten vor allem Blechbläser immer wieder Probleme. Doch auch die Ersten Violinen konnten sich vor der letzten Szene in der Höhe ihres aufsteigenden Solos nicht finden. GMD Georg Fritsch packte stark zu, darauf vertrauend, dass die fast ständig an der Rampe stehenden großen Stimmen sich trotzdem durchsetzen würden.
Es war wieder ein Wagner-Abend, der beim Publikum groß ankam.