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Das Philharmonische Orchester Stockholm unter Sakari Oramo.  Foto: Jan-Olav Wedin
Das Philharmonische Orchester Stockholm unter Sakari Oramo. Foto: Jan-Olav Wedin
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Sinfonien-Marathon – Das Sibelius-Nielsen-Festival in Stockholm

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In den Programmen hiesiger Konzertsäle spielen sie ehrlicherweise kaum eine Rolle. Auch auf dem immer stärker von zugkräftigen Namen und aktuellen Terminen bestimmten Tonträgermarkt scheint in diesem Jahr ihr fraglos gewichtiges Doppeljubiläum trotz manch gelungener Produktion ohne allzu großen PR-Rummel vorüber zu ziehen: Der jeweils 150. Geburtstag von Jean Sibelius (1865–1957) und Carl Nielsen (1865–1931).

Vielleicht aus dem Grund, dass beide Sinfoniker geradezu stereotyp als finnische beziehungsweise dänische Ikone apostrophiert werden, ohne dass man einmal ihr Schaffen in der ganzen Breite gehört hätte. Inszenierte „Staatsakte“ scheinen denn auch überflüssig – eine Nielsen-Gesamtausgabe (in Noten) liegt schon seit mehreren Jahren vollständig vor und für das Gesamtwerk von Sibelius haben sich schon um 2007 Robert von Bahr und sein Label BIS stark gemacht (nach dem Motto „every note he ever wrote“).

Umso erstaunlicher mutet es daher an, dass die Idee zu einer umfassenden sinfonischen Werkschau beider Komponisten weder aus Kopenhagen noch aus Helsinki kam, sondern dem Stockholmer Konzerthaus entsprang, einem unter Stefan Forsberg (der als Intendant nicht nur plant, sondern auch umsetzt) bestens organisierten und mit sympathischem Pragmatismus geführten Musentempel. Wer die alltäglichen Sachzwänge des Konzertbetriebes kennt, kommt freilich beim Blick auf das mit einem gewissen Understatement propagierte Fes­tival-Programm nicht aus dem Staunen heraus – hinsichtlich der Quantität wie der Qualität. So erklangen in einer umfassenden Werkschau zwischen dem 15. und 26. April allabendlich nicht nur zwei Sinfonien, sondern es spielten auch insgesamt zehn Orchester aus Dänemark, Finnland und Schweden im täglichen Wechsel. Da darf man auch die logistische Meisterleistung ebenso wie die Konzeption bewundern, der alles andere als Zufälligkeiten zugrunde lagen. Mats Engström (Programmdirektor) hatte vielmehr zu jeder der gesetzten Partituren (bekanntermaßen sieben von Sibelius und sechs von Nielsen) entweder einen naheliegenden oder auch auf den ersten Blick entfernter anmutenden Bezugspunkt im Fokus. So gelangten als korrespondierende Gegenparts nicht nur je einzelne der viel gehörten Sinfonien von Beethoven, Mendelssohn, Brahms, Mahler und Schostakowitsch aufs Pult, sondern auch Kompositionen von Charles Ives, Wilhelm Stenhammar, Kurt Atterberg, William Walton und Ralph Vaughan Williams – in Kombinationen, die sich in den meisten Fällen auch als überaus erhellend herausstellten. Etwa bei der Konfrontation von Nielsens 5. Sinfonie mit der zeitgleich entstandenen 5. Sinfonie von Atterberg, der als Musikkritiker mit Nielsens Werk vernichtend ins Gericht gegangen war.

Darüber hinaus hinterließen im akus­tisch phänomenal disponierten Konzerthaus die Klangkörper aus Odense, Helsinki (Philharmoniker und RSO), Norrköping, Helsingborg, Malmö, Göteborg, Örebro (Schwedisches Kammerorchester) und Stockholm (Hofkapelle) den Eindruck einer lebendig tönenden Landschaft; das Philharmonische Orchester Stockholm kam als Hausherr gleich dreimal zum Einsatz. Freilich zeigten sich auch Unterschiede – und dies nicht nur im Klang, sondern auch in der Art der Interpretation. Sakari Oramo etwa ging mit seinen Stockholmern in die Vollen und wusste mit einem fulminanten Streichersound zu überwältigen; live bestätigte sich dabei der Rang des gerade auf CD abgeschlossenen, hochgelobten Nielsen-Zyklus. Welchen Einfluss die Aufstellung nicht nur der Streicher, sondern auch der Bläser hat, wurde an den folgenden Abenden überdeutlich. So blieb das Sinfonieorchester des Finnischen Rundfunks unter Hannu Lintu im strengen Kontrapunkt seltsam konturlos (Stenhammar 2), im Pflichtstück (Sibelius 5) enttäuschend blass. Experimentell war gar der Versuch, die Ausdrucksdichte und Kraft verlangenden Partituren von Vaughan Williams (5) und Sibelius (6) dem Schwedischen Kammerorchester anzuvertrauen: Zwar sorgte Thomas Dausgaard für gewohnt kühle Detailtreue, der kleine Streicherapparat aber wirkte bei diesem Repertoire schlichtweg wie amputiert. Sinfonisch griffig präsentierten sich indes die Klangkörper aus Malmö (Marc Soustrot, eher kompakt agierend) und Göteborg (Alexander Shelley; allerdings mit kaum präsenten Holzbläsern). Was bleibt von solch einem großartigen Fes­tival im hohen Norden? Sicherlich einmal mehr die Erkenntnis, dass es sich immer wieder lohnt, das Blickfeld nicht zu eng zu halten, sondern Bezüge in verschiedene Richtungen herzustellen und auf musikalische Vielfalt zu setzen. Vor allem aber wünscht man sich, vergleichbar Relevantes in einer ebenso großen Bandbreite wie interpretatorischen Qualität (Themen gibt es ja genug) auch einmal hierzulande zu erleben. Stockholm hat gezeigt, dass eine solch zyklische Setzung gelingen kann. Es ist nur eine Frage des Mutes und des Willens.

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